Lügen, die von Herzen kommen: Roman (German Edition)
vernachlässigt habe, und mehr noch, diese Helena in unserem Leben willkommen geheißen habe, ist der Junge überhaupt in diese Situation geraten. Ich will das wieder gutmachen, das ist alles, was ich will, warum könnt ihr das nicht verstehen?«
»Was soll daran gut sein, wenn du Philipp den ganzen Tag im abgedunkelten Zimmer herumliegen lässt und ihn bedauerst? Hat Helena ihn gebissen und zu einem Vampir gemacht?«
»Er braucht Zeit, um seine Gedanken und seine Gefühle zu ordnen! Und ich helfe ihm dabei.«
»Du hilfst ihm einen Dreck«, sagte ich. »Während du ihn daran hinderst, selber Verantwortung für sich und seine Taten zu übernehmen, lässt du es zu, dass deine Ehe den Bach runter geht.«
»Jost will nur ein bisschen mit den Ketten rasseln. Dabei weiß er genau, wie sehr ich diese Art von Autoritätsgehabe ablehne.«
»Was ist denn daran autoritär, wenn jemand seine Koffer packt und auszieht? Ich würde sagen, es ist das genaue Gegenteil.«
»Er will mich damit unter Druck setzen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Er hat dich vorher unter Druck gesetzt, aber als er gemerkt hat, wie wenig dir an ihm und Philipp liegt, ist er gegangen.«
Mama sah betroffen aus. Das konnte sie gut. »Wie kannst du so etwas sagen? Ich liebe Jost, und ich liebe Philipp! Warum sonst würde ich das alles wohl für ihn tun?«
»Was tust du denn?«, fragte ich kalt. »Glaubst du, es ist ein Liebesbeweis, dass du ihm das Abitur ersparst?«
Mama traten die Tränen in die Augen. »Ihr wollt das einfach nicht verstehen.«
»Möglicherweise.« Ich zuckte mit den Schultern. »Aber vielleicht bist es ja auch du, die hier nichts verstehen will. Ich glaube jedenfalls nicht, dass Jost wiederkommen wird. Ich wünsche ihm ganz ehrlich, dass er eine neue Frau findet, eine, die in der Lage ist, ihm die Liebe zurückzugeben, die er verdient.«
Mama fing an zu weinen. Sie weinte oft und gerne. Je pathetischer man wurde, desto eher weinte sie. Es ließ mich gänzlich kalt. Ich schob mich an ihr vorbei ins Badezimmer, ohne mich um ihr Geschluchze zu kümmern. Mehr konnte ich nicht für sie tun.
Ich hatte lange geschlafen, es war schon halb elf, als ich wieder aus dem Bad kam und begann, mich mit ernsthaften Überlegungen zum Thema »kleines Schwarzes« herumzuschlagen. Ich hatte keins. Und ich kannte keinen, der eins in meiner Größe hatte.
Es blieben mir also nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich zog los und versuchte noch ein Kleid zu kaufen, oder aber ich zog etwas anderes an. Ich entschied mich für Letzteres. Ich besaß einen sehr hübschen schwarzen Hosenanzug, einer von denen, die immer passten, egal ob Firmenjubiläum, Theaterbesuch, Party, Vorstellungsgespräch, Dinner für zwei oder Beerdigung. Es war auch anzunehmen, dass mich Fredemanns Türsteher einlassen würden, wenn ich ihn trüge. Beinahe schon hätte ich mir wegen dieser ebenso einfachen wie genialen Lösung auf die Schulter geklopft, als mir ein weiteres Versäumnis in den Sinn kam: Ich hatte nicht an ein Geschenk gedacht. Was, um Himmels Willen, schenkt man seinem Verleger zum fünfundsechzigsten, wenn der einen nicht mal persönlich kennt? Gut, er hatte mir zwei- oder dreimal die Hand geschüttelt, aber ich bezweifelte stark, dass er meinen Namen kannte.
Was also sollte ich ihm schenken? Ein Paar Golfsocken? Ein After Shave? Eine Flasche Portwein?
»Bist du irre?«, rief Carla aus, als ich am Telefon sie danach fragte. »Auf der Einladung stand doch ausdrücklich, dass er sich eine Spende wünscht. Du kannst wählen zwischen der Peter-Ustinov-Stiftung und der Loos-Inititative.«
»Was ist das denn?«, fragte ich.
»Die fördern therapeutische Wohngruppen für psychisch Kranke«, sagte Carla. »Um die Krankenhäuser zu entlasten.«
Ich entschied mich selbstredend für die Peter-Ustinov-Stiftung. Das war ein netter Zug von Fredemann, dass er sich nicht selbstsüchtig mit Golfsocken und Portwein beschenken ließ, sondern an die armen Kinder in Afrika dachte. Auf meinem Girokonto war ohnehin viel zu viel Geld – endlich hatte ich mal ein Problem, das keines war.
Auf dem Rückweg von der Bank und der Parfümerie, bei der ich ein kleines Vermögen gelassen hatte, machte ich einen Schlenker bei Toni vorbei. Bei dem schönen Wetter waren alle im Garten, Leander in seinem Kinderwagen, Henriette und Finn im Sandkasten. Toni saß gegen ein aufblasbares Hüpfpferd gelehnt in der Sonne und hatte die Augen geschlossen.
»Schläfst du?«, fragte ich.
Toni öffnete die
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