Lügen haben hübsche Beine
ich erzähle dir alles in Ruhe.«
Alice redete noch eine Weile auf ihre Tochter ein, doch schließlich gelang es Jill, sie halbwegs zu beruhigen und sich von ihr zu verabschieden.
Gerade als sie aufgelegt hatte, klingelte es erneut, und sie sah, dass es Craig war.
»Hey«, sagte sie erfreut.
»Kommst du wieder rüber, oder bist du geflüchtet?«
»Habe ich denn einen Grund zu flüchten?«, schmunzelte sie.
»Keine Ahnung, aber vielleicht brauchst du ja eine kleine Pause von mir.«
»Bis morgen Abend werde ich es wohl noch aushalten«, erwiderte sie scherzhaft, obwohl ihr bei diesem Gedanken überhaupt nicht zum Lachen zumute war. Er schwieg, und sie fügte schnell hinzu: »Ich bin gleich da.«
Wenig später war sie wieder bei ihm. Craig saß auf der Couch, hatte seinen Laptop auf den Knien.
Sie trat hinter ihn, beugte sich zu ihm und gab ihm einen zärtlichen Kuss auf die Wange. Ihr Blick fiel über seine Schulter auf den Bildschirm, auf welchem eine Tabellenkalkulation mit kompliziert erscheinenden Berechnungen zu sehen war.
»Musst du arbeiten?«, fragte sie vorsichtig.
»Nein, es ist nichts Wichtiges.« Er klappte den Laptop zu und legte ihn weg, zog ihren Kopf zu sich herunter und küsste sie. »Komm, setz dich zu mir.«
Folgsam ging sie um die Couch herum und setzte sich neben ihn, betrachtete ihn dann aufmerksam, versuchte irgendetwas in seinem Gesicht zu erkennen. Seine Miene war ernst, er sah bedrückt aus.
»Ziemlich unangenehme Sache«, sagte sie leise.
Er nickte. »Ja, etwas Schlimmeres konnte kurz vor dem Ende der Staffel nicht passieren.«
»Wusstest du davon?«
»Du hältst das also für wahr?«, antwortete er mit einer Gegenfrage.
»Naja, selbst wenn es sehr reißerisch und übertrieben aufgemacht ist, ein Körnchen Wahrheit steckt ja doch immer in solchen Geschichten«, sagte sie ausweichend. »Außerdem«, sie lächelte, »wäre er ja nicht der Einzige, der sich an Kandidatinnen herangemacht hat.«
Es sollte scherzhaft klingen, aber Craig schien unangenehm berührt, und die Szene mit Grace tauchte wieder vor ihrem inneren Auge auf. Sanft streichelte sie ihm über den Arm. »Entschuldige, ich wollte dich nicht mit ihm in einen Topf werfen. – Und was passiert nun?«
Er zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Auf jeden Fall wird Mick morgen Abend bei der Sendung nicht dabei sein, das geht unter keinen Umständen. Harriet versucht jetzt, einen Ersatz für ihn zu finden, denn die Show muss unbedingt stattfinden, alles andere wäre eine Katastrophe. Aber wie auch immer das ausgehen mag, diese Sache wirft nicht nur ein schlechtes Licht auf die Sendung, sondern auf jeden, der damit zu tun hat.«
»Ja, das ist natürlich ein gefundenes Fressen. Ich könnte mir vorstellen, dass da noch eine Menge weiterer Schmutz aufgewühlt wird«, sagte sie zögernd.
Ohne eine Antwort zu geben, lehnte er seinen Kopf an ihre Schulter, schloss müde die Augen und murmelte: »Lass uns jetzt bitte nicht mehr davon reden.«
Am Nachmittag fuhren sie für ein Shooting zur nahegelegenen ‚Ashcroft Ghost Town‘, einer verlassenen, ehemaligen Minenarbeitersiedlung.
Die Stimmung war ziemlich angespannt. Mick war nicht dabei, und Jill vermutete, dass er bereits abgereist war. Harriet zog ein Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen, war aber im Gegensatz zu sonst seltsam ruhig. Auch die anderen Crewmitglieder wirkten alles andere als glücklich, und so ging das Shooting in einer sehr unangenehmen Atmosphäre über die Bühne.
Die Mädchen bekamen Arbeiteroutfits, wie sie zu der Zeit, aus der die Siedlung stammte, getragen wurden. Mit Spitzhacken und Schaufeln in der Hand posierten sie geduldig, bis Harriet zufrieden war, und anschließend fuhren sie wieder zurück nach Aspen.
Sie trafen genau rechtzeitig zum Abendessen ein, und Jill war froh, als die Mahlzeit vorüber war und sie sich mit Craig zurückziehen konnte.
Gerade als sie den Wohnraum betreten hatten, klingelte Craigs Handy.
»Ja?«, meldete er sich zurückhaltend. »Ja, das Timing hätte nicht schlechter sein können«, fügte er dann mit einem unsicheren Blick auf Jill hinzu.
Sie machte ihm ein Zeichen, dass sie duschen gehen würde, und verließ das Zimmer. Während sie hinausging, hörte sie noch, wie er leise sagte: »Ich fürchte, es war keine kluge Entscheidung, sich darauf einzulassen.«
Stirnrunzelnd zog sie die Tür hinter sich zu, überlegte einen Moment, ob sie stehenbleiben und horchen sollte. Doch irgendwie brachte sie es nicht fertig, nicht nach
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