Lügen haben rote Haare
gelitten hat. Als Geigenpaul Anstalten macht, den Glaskasten zu verlassen, schiebe ich die Feile unter die PC-Tastatur und puste den Schreibtisch sauber. Mit einem kurzen Fingerzeig fordert er mich auf, ihm zu folgen. Frechheit! Wütend stampfe ich hinter ihm her.
»Du darfst mich ruhig ansprechen, wenn du etwas von mir möchtest. Ich bin kein Hund und du nicht Martin Rütter.«
Er ignoriert meine Zurechtweisung, stattdessen denkt er laut. »Ist das eine reizende Person …«
Ich denke ebenfalls laut. »Ja, ja. So sind sie halt, die Bunga-Bunga-Frauen. Reizend.«
Oh, da scheine ich aber jemanden ordentlich verärgert zu haben!
»Bunga-Bunga-Frauen?« Sein stechender Blick zeigt mir, dass ihm meine Äußerung nicht gefallen hat. Ich korrigiere mich.
»Tonga-Tonga-Frauen! Sie sieht aus, als würde sie von der Insel Tonga kommen. Du weißt schon, dieses Kaff im Südpazifik, mit diesem König … Na … wie heißt der noch … Fünf Buchstaben, fängt mit ›T‹ an.«
»Liebst du ihn?« Seine pfeilschnelle Frage trifft mich vollkommen unvorbereitet.
»Wen? Den König von Tonga?«
Paul springt wütend auf. »Sag mal, Möhre, willst du mich auf den Arm nehmen? Ich rede von Machungwa! Liebst du ihn?«
Die Anrede Möhre bringt mich dermaßen aus der Fassung, dass ich ebenfalls zornig hochschnelle. Diese bescheuerte Haarfarbe habe ich mir weiß Gott nicht ausgesucht. Es ist unfair, darauf herumzureiten. Wie zwei Kampfhähne stehen wir uns gegenüber. Ich balle die Fäuste.
»Ich kenne ihn erst seit, ähm … wenigen Monaten. Aber ja, ich liebe ihn, und Machungwa liebt mich. Und zwar so, wie ich bin! Er würde mich niemals, niemals ›Möhre‹ nennen.« Ich warte einen Augenblick, es kommt keine Entschuldigung. Das kränkt mich.
Paul schürzt die Lippen. »Du hast Machungwa also schon gekannt, während du mit diesem Typen, diesem Roger, in meiner Villa warst? Respekt, Frau van Goch. Zwei auf einen Streich.«
Ich verweigere die Antwort; soll er doch denken, was er will. Noch immer keine Entschuldigung? Nein.
In meinen Augen sammeln sich zwei winzige Tränen, die ich eilig mit dem Finger wegwische. Geigenpaul runzelt die Stirn und beugt sich ein wenig vor, als er bemerkt, dass ich durch die Brillengläser greife. Er legt den Zeigefinger auf die Lippen; ich sehe, dass er so sein freches Grinsen verbergen will. In dieser Haltung redet er weiter.
»Du hast Machungwa aufgeklärt, warum wir das ganze Theater veranstalten?«
»Ja.«
»Wann bist du in den nächsten Tagen am Abend bei deiner Familie? Ich würde dich gerne begleiten.«
»Warum? Damit du mich verpetzen kannst?«
»Nein, damit wir die Planung für unsere Verlobungsfeier besprechen können.«
Ich stütze mich am Schreibtisch ab, mir ist schwindelig. Aus der Nummer komme ich nicht mehr raus. Der Apfel ist richtig sauer, ich werde hineinbeißen; eine echte van Goch steht zu ihrem Wort.
Bruni fächert mit einem Briefumschlag Luft in meine Richtung. Ich könnte Gift und Galle spucken.
»Karo, mach dich nicht verrückt. So eine Verlobung ist doch ein Klacks. Vollkommen unverbindlich. Solange keine Unterschrift im Spiel ist, ist alles egal. Denk positiv. Den Ring darfst du bestimmt behalten. Den kannst du hinterher verkaufen, der Goldpreis war noch nie so hoch wie jetzt.«
Ich wünsche mir, ich hätte Brunis sonniges Gemüt.
Kurz vor Mittag streckt Frau Schneider ihren Kopf durch die Tür und fragt, ob sie sich uns anschließen dürfe, sie würde sich ja im Haus noch nicht so richtig auskennen.
Wir nicken widerwillig; es ist ärgerlich, dass wir während der Pause kein privates Wort wechseln können.
Neugierig nehmen Ulrike und Heike die neue Mitarbeiterin in Augenschein. Schönewiev stellt sich kurz als Vivi vor; sie erklärt unaufgefordert, wie sie zu dem für ihre Hautfarbe ungewöhnlichen Familiennamen kam.
Ihre Mutter lebte auf den Fidschi-Inseln und verscherbelte am Strand Tontöpfe, die wiederum ihre Mutter fertigte. Herr Schneider, seinerzeit Professor für Kunstgeschichte, der eine Auszeit nahm und dadurch sechsmonatiger Vollbluttourist wurde, verliebte sich in sie. Blablabla, nun, das Übliche. Sie folgt ihm ins kalte Deutschland, Hochzeit, das Ergebnis sitzt vor uns. Aha, wie spannend. So kam sie also zu diesem ›ungewöhnlichen‹ Namen. Während ich gähne, schiebe ich ein Stück Leberkäse in den Mund, ein Abwasch.
Vivi redet ohne Luft zu holen weiter. Sie würde ihre Heimat nur aus diversen Urlauben kennen, mit der Insel-Kultur
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