Lügen haben rote Haare
Ich schlüpfe in hochhackige schwarze Schuhe, weil ich keine grauen besitze. Auf in den Kampf!
Bruni, die Streberin, ist wieder einmal vor mir im Büro. Sie taxiert prüfend mein Outfit und sucht nach Worten.
»Wow, Karo, du siehst aus … wie … wie …«
Ich quetsche meine Handtasche zwischen Schreibtisch und Wand. »Wie Maria Stuart?«
»Quatsch! Wie in dem Film … Ach, der Titel fällt mir nicht ein. Warte, ich hab’ es gleich.« Sie kneift die Augen zusammen. » Die Lehrerin der Flötentöne. Heiner war hin und weg von dieser strengen Lehrerin, die Managern die Flötentöne beibrachte.« Sie grunzt verhalten.
Ich springe wie von der Tarantel gestochen auf.
»Waaas? Wie sehe ich aus? Ist dein Heiner eigentlich bescheuert, oder was? Und du? Bist du schon genauso dämlich wie dein Tapetenkleistermann? Ich fühle mich wie Maria Stuart und nicht wie eine strenge Lehrerin.«
Im selben Moment kommt Geigenpaul, gefolgt von einer rassigen, mokkafarbigen Schönheit mit langem, seidig schwarzem Haar im Designerkostüm, hereingerauscht. Er bleibt vor unserem Schreibtisch stehen und starrt mich an, als wäre ich der Osterhase im Nikolauskostüm.
Er schüttelt sich kurz, dann stellt er uns die Mokkabohne vor. Seine Stimme klingt heiser.
»Das ist Geneviève Schneider. Sie wird, bis Frau Piefke wieder da ist, ihren Platz einnehmen.« Nachdem die beiden in Geigenpauls Büro verschwunden sind, lassen Bruni und ich die Neuigkeit sacken.
»Was hat der gesagt? Wie heißt die? Schönewiev? Was ist das denn für ein Name?« Bruni ist jetzt mindestens genauso blass wie ich.
Ich bin fassungslos. »Was hat er gesagt? Sie nimmt Gundulas Platz ein? Hä? Wir kommen doch auch ohne Gundula klar … oder etwa nicht?«
Bruni folgert glasklar. »Das ist seine Retourkutsche für gestern Abend, Karo. Geigenpaul wird uns über kurz oder lang feuern. So einfach ist das. Sobald die Piefke wieder da ist, fliegen wir im hohen Bogen raus und können unter einer Brücke billigen Rotwein süppeln. Mensch, Karo! So, wie wir uns benommen haben, verstummen die Gerüchte nie, dass Paule schwul ist. Im Gegenteil, unsere Treffen mit Machungwa bestätigen die Gerüchte noch. Wenn Paul nicht schwul wäre, würdest du nicht mit Machungwa kuscheln. Logisch? Dröpjes hat doch gestern Abend wie ein Schwamm die Gegebenheiten aufgesogen. Der ist cleverer als wir denken.«
Ich könnte mich ohrfeigen. Brunis Ausführungen sind einleuchtend. Paul ist ein sehr attraktiver Mann, den wohl kaum eine Frau mit Geschmack von der Bettkante schubsen würde. Auch die Tatsache, dass Geigenpaul und Bert gemeinsam in der Villa wohnen, lässt diverse Vermutungen zu. Bert ist doch alt genug, um alleine zu wohnen. Wenn ich mich zukünftig nicht an die Abmachungen halte, wird Paul richtig sauer werden. Ein Zurzeln und Knurzeln macht sich in meinem Darm bemerkbar.
»Ich muss mal.«
Bruni sieht kurz hoch. »Beeil dich, Karo, ich muss auch.«
Auf dem Weg in den ›Spa-Bereich‹ begegnet mir der Hausmeister, der einen anerkennenden Pfiff ausstößt. Hastig laufe ich an ihm vorüber.
»Ich verkörpere Maria Stuart, nur dass Sie es wissen.«
»Kenn’ ich nicht. Ist das eine dominante Lehrerin?« Er lacht schallend.
Dumpfbacke! Historische Null!
Schönewiev sitzt, als ich zurückkomme, wie eine wunderschöne Puppe im Glaskasten. Ihr Haar weht leicht, eine frische Brise strömt durch das weit geöffnete Fenster. Bruni grunzt verächtlich.
»Karo, die lassen wir links liegen. Wir behandeln sie wie Luft. Sollte sie mal fragen, was wir am Abend so unternehmen, sagen wir einfach: Nichts! Wir sitzen immer nur vor dem Fernseher .«
Geigenpaul stört unsere Unterhaltung. Mit großen Schritten geht er ins Büro, auf dessen Türschild zwar »Frau Piefke« steht, aber in dem nicht Frau Piefke sitzt. Er schleimt sich richtig ein.
»Ah, was für eine schöne Luft Sie hier drinnen haben.«
Dann schließt er die Tür und setzt sich auf den Rand von Gundulas Schreibtisch.
Bruni rümpft angewidert die Nase, ich denke laut.
»Na gut, dann behandeln wir sie halt wie … schöne Luft .«
»Papperlapapp. Luft ist Luft.« Meine Freundin springt hastig auf, sie hat es eilig, aufs Klo zu kommen.
Ich habe keine Lust zu arbeiten. Wir haben ja jetzt schließlich Schöneview Schneider. Ich stelle einen Aktenordner neben mich und krame eine Nagelfeile aus meiner Handtasche. Kräftig bearbeite ich den rechten Daumennagel, der unter der Klebeschild-Abknibbel-Aktion meiner neuen Schuhe
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