Lügen haben rote Haare
Terrasse, er telefoniert noch immer.«
Ich kratze nervös meine Stirn, Wangen und Kinn; der Juckreiz nimmt zu. »Vielleicht ist Vivi im Bad.«
»Quatsch, oben ist doch kein Licht an. Meinst du, die duscht ohne Licht? Pst, er läuft auf die Wiese, er kommt.«
Das, was jetzt kommt, nämlich Paul, kann ich auch ohne Feldstecher erkennen. »Mist, Bruni, er läuft in unsere Richtung, nichts wie weg hier.«
Hinter dem Nadelgehölz gibt es eine kleine Rangelei, es knackt und knarzt. Jede von uns will als Erste die Flucht ergreifen. Fluchend ergebe ich mich; Brunis Beine sind in Stresssituationen flinker. Fast stolpere ich über Wurzelwerk, hefte mich dann an die Fersen meiner Observationskollegin. Gemeinsam kämpfen wir uns mit brachialer Gewalt zurück zur Straße. Die Koniferen peitschen in mein Gesicht, als wollten sie mich für das Eindringen auf fremdes Gelände bestrafen. Keuchend erreichen wir in Rekordgeschwindigkeit die rettenden Buchsbäume, hinter denen die Freiheit liegt. Anschließend rennen wir, ohne anzuhalten, die Störtebekerwiese entlang, bis wir atemlos das geparktes Auto erreichen. Bruni fährt wie ein Straßenrabauke mit quietschenden Reifen los.
»Puh, das war knapp.« Ich kratze wieder.
Bruni schlägt wütend aufs Lenkrad. »Mensch, Karo, du hast die Nerven verloren, du Angstbüchs. Geigenpaul hätte uns nie entdeckt, verdammt. Jetzt wissen wir noch immer nicht, ob er mit Vivi … oder nicht!«
Mir platzt die Hutschnur. »Du solltest lieber die Klappe halten! Du bist doch die Erste gewesen, die die Hosen voll hatte!« Dabei registriere ich einen unangenehmen Geruch, der durch das Fahrzeug weht.
Jetzt rümpft auch Bruni die Nase. »Irgendwie riecht das hier … irgendwie … nach Kacka.«
Ich schalte die Innenraumbeleuchtung ein. Ein Blick auf meine Schuhsohlen zeigt mir die Misere. »Es ist Kacka, Bruni!«
» Ich war nur für kleine Mädchen, Karo! Von mir ist das nicht.«
Ihr Wort in Gottes Ohr. Angeekelt streife ich die Turnschuhe von den Füßen. Im Zweifelsfalle für den Angeklagten.
»Okay, Schisshase. Morgen starten wir die gleiche Aktion noch einmal. Dann gehen wir das Ganze ein wenig entspannter an. Den anderen erzählen wir nichts von unserem Vorhaben; versprich mir, den Mund zu halten.«
Bruni verspricht zu schweigen wie ein Grab und hält mit einer Vollbremsung vor meiner Wohnung. Mürrisch wegen des unbefriedigenden Ermittlungsergebnisses, verabschieden wir uns. Die Turnschuhe ›vergesse‹ ich absichtlich im Fußraum des Wagens.
Auf Socken schleiche ich in meine Wohnung. Im Flur weiche ich entsetzt vor meinem eigenen Spiegelbild zurück. Herrschaftszeiten! Mein Gesicht sieht aus, als wäre es gleichzeitig von Röteln, Masern und Windpocken befallen.
34. Allergische Reaktionen
Die vergangene Nacht verbrachte ich damit, sämtliche Mittelchen aus meinem Badezimmer- bzw. Apothekerschränkchen auszuprobieren. Den letzten Versuch, ein Medikament gegen den Juckreiz der Pocken und Pusteln zu finden, startete ich gegen 5 Uhr am Morgen mit einer Salbe gegen Furunkel. Der Beipackzettel las sich vielversprechend, aber Pustekuchen.
Um 7:30 Uhr sitze ich angespannt in Dr. Weinforths Wartezimmer. Die altgediente Sprechstundenhilfe stellt vorab die Diagnose, nachdem ich ihr erklärt habe, dass ich mit Koniferen in Berührung gekommen bin, und danach das Jucken anfing.
»Hm … das sieht ganz nach einer allergischen Reaktion aus. Ein bisschen Cortison und etwas gegen den Juckreiz, den Ausschlag sind Sie bald wieder los.« Netterweise schickt sie mich sofort ins Sprechzimmer, weil ich unentwegt am Kratzen bin.
Kurz und knapp schleudert sie ihrem Chef das Wort Koniferen entgegen. Dr. Weinforth nickt dankend, nimmt mein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und tätschelt mir beruhigend die verpustelten Wangen.
»Hm … das sieht ganz nach einer allergischen Reaktion aus. Ein bisschen Cortison und etwas gegen den Juckreiz … den sind Sie bald wieder los.«
Ich schüttele mich kurz, um das Déjà-vu-Erlebnis zu verdrängen. Er kritzelt etwas auf ein Rezeptformular, welches er schwungvoll unterschreibt, und erteilt mir ab heute, wenn möglich, Koniferenverbot.
Eine Tür weiter packt ein netter Apotheker Salben und Pillen in eine kleine Plastiktüte; als Bonus erhalte ich noch ein Paket Tempotaschentücher, die ich großzügig für meine Freundin aufbewahren werde. Sozusagen für den Fall der Fälle.
Eine entsetzte Bruni schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, als ich das
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