Lügen haben rote Haare
Kompliment kann ich ehrlich zurückgeben. »Und Sie erst, Gundula! Wie ein junges Mädchen.«
Spontan umarme ich erst meine Vorgesetzte, danach meinen Opa, der barsch das Kommando übernimmt. »Quatsch. Hier wird nur noch geduzt, wir sind ja schließlich nicht in ›Siezilien‹, hahaha.«
Dann betritt Paul die Arena. In einer Hand trägt er eine Kühlbox, mit der andern Hand balanciert er eine große Schüssel voller Grünzeug, die ihm meine Mutter abnimmt.
Conny öffnet neugierig die blaue Box und befördert eingeschweißtes Fleisch zutage. »Rinderfilet. Lammkarree. Lecker! Hui, und Bratkartoffeln. Schade, dass die Kinder nicht hier sind, die lieben Bratkartoffeln.«
Gundula reicht Paul höflich die Hand; er sieht darüber hinweg und umarmt sie. »Frau Piefke, wir sollten das Korsett der Förmlichkeiten ablegen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass wir gleich auf du und du trinken.«
Gerührt streicht sie eine Haarsträhne beiseite. »Ja, wenn Sie … ähm, du das meinst? Also, ich habe nichts dagegen, Paul.« Opa Heini klopft Paul so fest auf die Schulter, dass er leicht in die Knie geht. »Tach, mein Jung’!«
Als Geigenpaul Anstalten macht, mich auf den Mund zu küssen, drehe ich den Kopf beiseite, sodass er meine Wange trifft.
Es zischt laut, als mein Vater das Fleisch auf den Grillrost legt; der »Tach-mein-Jung’« sprintet noch einmal zum Auto und kommt mit einigen Flaschen Wein zurück. Paul steigt wieder eine Stufe auf der Beliebtheitsskala nach oben, denn das Fleisch ist von hervorragender Qualität. Antons Anruf stört Conny beim Verschlingen der Kartoffeln; er meldet sich ab, er habe noch zu tun. Opa Heini bekommt einen deftigen Rüffel von meinem Vater, weil er erneut ein »Auha!« vom Stapel lässt. Er rüffelt schroff zurück, und für einen Augenblick wirken die gestandenen Männer wie kleine Jungen in Lederhosen, die sich gleich zu kloppen anfangen.
Nach dem Essen stellt Opa Heini Schnapsfläschchen auf den Tisch, die er aus einer Hängegeranie, die prächtig in einer Blumenampel vor sich hin blüht, hervorzaubert.
Meine Mutter beobachtet fassungslos sein Treiben. »Also Vaaater … sag mal, du versteckst Schnaps? Was soll Paul denn von dir denken?«
»Ich verstecke ihn nicht, liebe Hildegard, ich schütze lediglich meine Privatsphäre. Außerdem soll Paul nicht denken, sondern trinken. Hier, Jung’! Und gleich erklärst du uns erst einmal, wie das Wochenende ablaufen wird.«
Paul greift lachend nach dem Feuerwasser und trinkt mit Gundula Bruderschaft. Anschließend stoße ich mit Gundula an.
»Ihr könnt hier schlafen, Kinder. Mit Alkohol im Blut setzt ihr euch nicht ans Steuer.« Die Stimme meiner Mutter klingt streng.
Jetzt brauche ich noch einen. Meine Hände zittern so, dass ich den Schraubverschluss nicht aufbekomme; Geigenpaul hilft. »Das geht auf gar keinen Fall, Mama. Paul muss heute Abend noch arbeiten, nicht wahr, Paul?«
»Ja«, er schickt mir einen liebevollen Blick. »Leider. Wir nehmen ein Taxi.« Er legt sanft einen Arm um meine Schultern und streichelt meinen Oberarm, der das sehr schön findet. Er reagiert mit Gänsehaut. Meine Eltern nicken zufrieden, die zweite Flasche Wein wird entkorkt. Nach allgemeinem Gläserklirren verkündet Paul die Pläne, die er geschmiedet hat. Wie selbstverständlich geht er davon aus, dass Gundula, die gegen aufsteigende Rührung ankämpft, mitkommt.
Opa Heini witzelt: »Damit du mal was anderes siehst als Russland und Hamburg.«
Paul holt sein iPhone aus der Tasche und öffnet seinen Terminkalender; ich seufze leise, denn mein Oberarm fühlt sich einsam.
»Also, unser Flieger geht am Freitag um 15 Uhr. Wir fliegen mit Avanti Air , eine kleinere Maschine mit circa siebzig Plätzen. Der Flug dauert eine Stunde und fünfundvierzig Minuten, vom Flughafen Memmingen geht’s dann mit dem Taxi nach Bad Hindelang. In einer knappen Stunde sind wir vor Ort. Dort werden wir abgeholt und zu unserem Quartier gebracht. Es geht ein wenig bergauf.«
Ich will protestieren, denn mir ist mit Sicherheit nicht nach ›hoch hinauf‹ zumute. Meine Mutter schickt mir einen warnenden Blick, der heißen soll: Dann läufst du halt mal einen Berg rauf .
Allein bei dem Gedanken bricht mir der Schweiß aus.
Gundula schielt auf ihre Krücken. »Na, das ist dann wohl doch nichts für mich. Ich kann doch mit den Gehhilfen nicht im Gebirge herumlaufen.«
»Genau, Gundula. Sollen die mal ruhig fahren, ich leiste dir hier Gesellschaft.« Ich tätschele
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