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Lügen haben rote Haare

Lügen haben rote Haare

Titel: Lügen haben rote Haare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Marie Käfer
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einzupacken, bitte ich Bruni, mir zu helfen. In Wirklichkeit habe ich keine Lust, den Abend alleine zu verbringen. Sie stimmt sofort zu und verschickt eine Rund-SMS. Keine zwei Minuten später verkündet sie, dass die anderen auch kämen. Ich bin gerührt; der Zusammenhalt unserer ›Runde‹ ist unschlagbar.
    Meine Reisetasche ist in einer halben Stunde gepackt. Zwei kurze Hosen, eine leichte Treckinghose, drei Paar Socken, drei T-Shirts, Unterwäsche, Toilettenartikel, ein Paar feste Schuhe, ein Paar Treckingsandalen, fertig. Willi, der meine Abneigung gegen diese Reise überdeutlich spürt, schlägt vor, das Wochenende einfach als eine Art Spaßaktion zu betrachten. Ich erkläre, dass ich unter extremster Höhenangst litte, da könne man keinen Spaß empfinden.
    Heiner macht mir ebenfalls Mut. »Es wird bestimmt schön werden, Karo; der schlimmste Feind des Menschen ist die Angst. Außerdem kann dich niemand zwingen, etwas zu tun, was du nicht wirklich willst.«
    Simone putzt den Stein ihres Verlobungsringes mit einer Serviette. »Ich habe mal einen Film mit diesem Reinhold Messer gesehen … Bleib besser hier, Karo! Ich verrate aber jetzt nicht, was der in den Bergen alles durchgemacht hat.«
    Bruni schlägt mit einer Zeitung nach ihrer Cousine. »Messner heißt der, du Fruchtfliege, Reinhold Messner.«
    »Manno, ist doch egaaaal, ob Messer oder Messner. Ihr wisst doch, wen ich meine. Der hatte mal Erfrierungen und so ein Gedöns.«
    »Mensch, Simone. Der war auf dem Mount Everest, der ist fast 9.000 m hoch! Dagegen sind die Berge im Allgäu ein Pipifax. Mach Karo nicht noch mehr Angst, als sie ohnehin schon hat!«
    Willi schlägt todernst vor, dass ich im Notfall anrufen solle. Er rennt, wie auf dem Campingplatz, in Supermann-Haltung auf den Balkon und wieder zurück. »Ich verspreche dir, Karo, Simone und ich holen dich unverzüglich da raus!«
    Heiner und Bruni schließen sich an. »Du kannst uns vertrauen, Karo, wir sind ebenfalls dabei; wir organisieren einen Hubschrauber.«
    Jetzt bin ich tatsächlich ein wenig beruhigter. Ich reiche die Speisekarte vom Pizza-Flitzer herum und sehe dem Wochenende ein wenig gelassener entgegen.
    Normalerweise weckt mich mein Wecker. Das ist im Grunde ein zuverlässiges Abkommen zwischen meinem Wecker und mir. In etwa so wie das Schengener Abkommen zwischen Dingsbums und Dingsda. An diesem Freitagmorgen, kurz vor 6 Uhr, weckt mich jedoch nicht mein Wecker, sondern ein Albtraum der übelsten Sorte. Als ich panisch aus dem Bett flüchten will, knalle ich wieder gegen eine Wand. Mir wird bewusst, dass ich nicht in meinem ehemaligen Kinderzimmer, sondern zu Hause bin. Ich reibe die kleine Beule an meiner Stirn, mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ein schrecklicher Traum.
    Ich stand auf einem hohen Berg, gefesselt an ein Gipfelkreuz. Im Dirndl. Reinhold Messner wedelte mit einem Pizzaschneider aufgeregt vor meiner Nase herum. Er forderte böse eine Pizza vom Pizza-Flitzer . »Funghi … Funghi … Salami«, rief er laut. Meine Eltern versuchten, auf mich zuzulaufen, doch ein starker Gegenwind ließ sie auf der Stelle treten; sie kamen nicht voran und streckten mir in purer Verzweiflung die Arme entgegen. Messner fuchtelte noch wütender, dann kam Paul, er rannte mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Ich sah die Rettung nahen … Aber Paul lief an mir vorbei, direkt in Berts Arme, der neben mir stand. Die beiden küssten sich, dann kam Vivi auf einem Besen angeflogen und schlug mit einer Zeitung nach mir. Sie kicherte und kicherte mit wehendem Haar. Ein zuckender Blitz traf mich an den Händen, die Fesseln lösten sich, dann erwachte ich.
    Ich verstehe zwar nicht viel von Psychologie, eines ist mir jedoch klar. Mir geht es beschissen. Die Gabe, sich gefühlsmäßig in bestimmte Situationen hineinzuversetzen, hat mich oft glücklich gestimmt, für die bevorstehende Kurzreise ist sie jedoch ein Fluch. Deswegen erscheint der Morgen düster und grau, obwohl die Sonne scheint. Wie durch einen dunklen Tunnel wate ich ins Bad. Auch der Duschstrahl verscheucht das Bild des feuerroten Rettungshubschraubers nicht, der mich aus schwindelnder Höhe abholt, weil ich vor lauter Panik hyperventiliere und kurz davor bin, den sprichwörtlichen Löffel abzugeben.
    Der Toaster schleudert eine schwarz verbrannte Scheibe Weißbrot auf die Spüle, ebenfalls ein schlechtes Omen. Selbst der Kaffee scheint heute schwärzer zu sein als gewöhnlich. Ich muss so schnell wie möglich an die frische

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