Lügen haben rote Haare
angewinkelt, die Finger gespreizt und all das mit leicht geöffneten Beinen. Ein Notarztteam trifft ein, und weil sie für Herrn Geiger nichts mehr tun können, kümmern sie sich um mich. Renate, quatsch, mir wird der Blutdruck gemessen, auf die Wangen geklopft und scheußlich schmeckendes Mineralwasser eingeflößt. Ein verschwommenes Gesicht erklärt mir, dass das Getränk meinen Kreislauf anregen wird. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass Ärzte schon kleine Wunder vollbringen, denn nur wenige Minuten später wirkt das Medikament, und ich bin wieder in der realen Welt. Das Notarztteam rückt ab. Frau Piefke telefoniert leise, sie weint. Nachdem sie den Hörer aufgelegt hat, erklärt sie, dass Geigers Bruder Jacob gleich kommen wird, um alles Weitere in die Wege zu leiten. Er würde auch Paul Geiger informieren, der sich momentan in Hamburg aufhalten würde. Dann schickt sie Bruni und mich ins Wochenende. Wir sind zutiefst erschüttert.
4. Tusnelda und Adonis
Ich werde den traurigen ›Augenwurm‹ einfach nicht los. Heißes Duschwasser läuft über mein Gesicht. Auch die Tatsache, dass die Sonne scheint und ein freier Samstag vor mir liegt, ändert nichts daran. Ständig sehe ich den, Gott hab ihn selig, mausetoten Nikolaus vor mir. Was noch schlimmer ist, mich plagen Schuldgefühle und ein ganz arg schlechtes Gewissen. Hat meine Karikatur zusätzlich dazu beigetragen, dass Geiger plötzlich tot umgefallen ist? Nach dem kurzen Arbeitstag fuhr ich gestern zu meinen Eltern, sie fanden die Situation bedrückend, mahnten mich jedoch, meine Gedanken wieder auf die schönen Dinge des Lebens zu lenken.
»Denk mal an Onkel Egon. Die Leiche hattest du auch lange im Keller liegen, bevor sie verblasst ist«, sinnierte Opa Heini.
Frau Piefke hat netterweise gestern am späten Abend angerufen, um die Neuigkeiten zu berichten. Ich hatte ein wenig Mühe, sie zu verstehen, Gundula hatte ganz offensichtlich mit viel zu viel Alkohol ihren Trauerschmerz betäubt. Sie erklärte, dass Herr Geiger seit Jahren herzkrank war. Der Schlag in seiner Pumpe wäre so kräftig gewesen, dass ihn nichts und niemand hätte retten können.
Puh, von dem Felsbrocken in meiner Brust purzelte ein kleiner Stein. Sie erklärte weiter, dass die Beerdigung am kommenden Samstag auf dem Zentralfriedhof stattfinden wird. Alle Firmenmitglieder bekämen einen Trauerbrief. Seine engsten Verwandten kümmerten sich, der Betrieb soll jedoch ab Montag wie gewohnt weiterlaufen. Fürs Erste übernähme Nikolaus Bruder Jacob die Firmenleitung. Paul Geiger würde am Montag nur kurz im Büro sein, am Nachmittag geschäftlich nach London fliegen, am Samstag zur Beerdigung erscheinen, um daraufhin wieder kurzweilig nach England zu reisen.
Ich schlüpfe in einen leichten Jogger und decke den Frühstückstisch auf dem Balkon. Als Toastaufstrich wähle ich Lindenblütenhonig. Leberwurst, Schinken, Mortadella und zwei Mettwürste landen im Mülleimer. Das Schnitzel, das ich mir heute Abend braten wollte, fliegt hinterher. Igitt! Totes Fleisch. Ich schüttele mich angewidert. Als ich herzhaft in meinen Toast beiße und die Hamburger Morgenpost aufschlage, höre ich von der Straße ein lautes »Huhuu, Karo!«
Conny steht mit den Zwillingen auf der anderen Straßenseite und winkt mir zu. Mist, verstecken ist zu spät, die haben mich längst entdeckt. Warum muss ich dumme Pute auch auf dem Balkon frühstücken?
Ich drücke den Türöffner und höre trampelnde Hanni- und Nanni-Füße im Treppenhaus. Übel gelaunt öffne ich die Haustür und muss mich zwingen, ein freundliches Gesicht aufzusetzen. »Na, das ist ja eine Überraschung!« Conny merkt sofort, dass mir der überfallartige Besuch nicht passt, und setzt ihren pikierten Blick auf. Die Kinder schlüpfen grußlos an mir vorüber und belagern den Balkon.
»Mama meint, dass dir etwas Ablenkung gut tun würde. Darum wollen dir die Kinder ein wenig Gesellschaft leisten.«
Ich widerspreche. »Zu mir hat Mama gesagt, ich soll mich wieder den schönen Dingen des Lebens zuwenden.«
»Eben, drum«, kontert sie. »Kinder gehören zu den schönsten Dingen des Lebens.«
»Für wie lange?« Ich schaue demonstrativ auf die Uhr.
Conny überlegt kurz. »Also, Anton und ich wollen in die Sauna und danach zum Italiener. Sagen wir, um 18 Uhr hole ich die beiden wieder ab, ja?«
Die spinnt ja wohl! Das sind acht Stunden! Ein ganzer Arbeitstag! »Nee«, sage ich lachend. »Ich kann nur bis 15 Uhr, denn ich bin heute
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