Lügen haben rote Haare
holt mich aus der Tiefschlafphase in die Wirklichkeit zurück. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass ich über eine Stunde geschlafen habe. Die Zwillinge! Oh Gott, mein Magen krampft sich zusammen . Entweder heult Hanni oder Nanni so laut. Ich entdecke die Kinder auf dem Parkplatz, ein Mann hält die beiden im Genick fest, neben ihm steht eine aufgedonnerte Tusnelda.
Mooooment mal …! Ich sprinte, so schnell ich kann, und noch bevor ich am Ort des Geschehens bin, kreische ich so laut, dass sich meine Stimme fast überschlägt: »Lassen Sie sofort die Kinder los!« Leicht schmunzelnd schaut dieser Kerl mich an und schiebt die Zwillinge zu mir herüber.
»Schauen Sie, was Ihre Gören angerichtet haben«, keift Tusnelda und zeigt auf einen blitzblanken Jaguar, dessen Fahrertür vollkommen zerkratzt ist.
Na, wenn die nicht nach ihrer Tante schlagen!
»Habt ihr das wirklich angestellt?«, frage ich verzweifelt.
»Du hast gesagt, wir dürfen kratzen!« Nanni haut mich gnadenlos in die Pfanne und hält einen dicken verrosteten Nagel in die Luft.
»Ja, aber doch keine Autos. Und schon gar keine Jaguars!«
Meine Hilflosigkeit wächst mit jeder Sekunde. Tusnelda meldet sich wieder zu Wort, während sich ihr Adonis in Schweigen hüllt. Die hat ja wohl ganz klar die Hosen an!
»Diese Erziehungsmethoden sind ja schon mehr als antiautoritär! Außerdem nennt man so etwas Vernachlässigung der Aufsichtspflicht!«
Ich habe das Gefühl, dass ich Connys und Antons Erziehungsmethoden verteidigen muss, denn Blut ist dicker als Wasser. »Pah«, gebe ich zickig zurück. »Von wegen! Was meinen Sie, was die Kinder alles nicht dürfen.« Ich zähle auf. »Tagsüber nicht fernsehen, nicht an der Straße spielen und … und … draußen keine Honigbrote essen, wegen der Wespen!«
Adonis verkneift sich ein Lachen. Hitzig streiche ich meine Haare hinter die Ohren.
»Ja, und keine Cola!«, ergänzt Nanni tapfer.
So, der haben wir es aber gegeben!
Hanni fängt an zu weinen. »Kommt jetzt die Polizei? Werden wir jetzt gefangen genommen?«
Tusnelda räuspert sich verunsichert. »Die Polizei muss ja nicht unbedingt sein.«
Adonis und Tusnelda tauschen einen kurzen Blick. Mein Bauchgefühl buchstabiert mir langsam aber deutlich, dass mit den beiden irgendetwas nicht stimmt.
»Wenn Sie sich ausweisen können, dann müssen wir die Polizei nicht bemühen«, gibt Tusnelda gnädig von sich.
Ich schicke Hanni und Nanni zurück zum Spielplatz, die kleinen ›Straftäter‹ sind froh, der Situation entfliehen zu können. Auf dem Weg zu meinem Rucksack fällt mir ein, dass ich ja gar keine Papiere dabei habe. Halt. Stopp. Doch.
Meine Körpertemperatur sinkt innerhalb von wenigen Sekunden um 50 Grad. Eiskalt überreiche ich Tusnelda die Kopien von Rogers Papieren. »Hier, wenden Sie sich an meinen Mann. Der wird die Angelegenheit über unsere Versicherung regeln lassen.«
Tusnelda scheint zufrieden zu sein, sie stopft die Papiere in ihre Handtasche. Mit den scheinheiligen Worten »Ihnen beiden noch einen angenehmen Tag« rufe ich die Zwillinge und wir machen uns im wahrsten Sinne des Wortes vom Acker. Nach wenigen Metern drehe ich mich noch einmal um.
»Ach ja«, rufe ich dem Pärchen zu. »Und im Hausflur Fangen spielen, das dürfen die Kinder auch nicht!«
Unter dem Sonnenschirm auf meinem Balkon bleibt mir exakt noch eine Stunde, um Hanni und Nanni Nachhilfeunterricht in Sachen Flunkern zu geben. Vor mir sitzen zwei rotblonde, sommersprossige schlechte Gewissen. Nanni bohrt gedankenverloren in der Nase, Hanni spielt mit den Fransen der Tischdecke.
Ich rolle mit den Augen und lege, mit einem Kaffee-Pott in der Hand, die nackten Füße auf die Balkonbrüstung.
»Mensch, jetzt macht doch nicht so lange Gesichter. Das war zwar keine gute Tat, aber … keine gute Tat ist besser als gar keine Tat.« Das ist doch mal ein philosophischer Gedanke, ich bin stolz auf mich!
»Mama wird mit uns schimpfen.« Hannis Stimme klingt weinerlich.
Ich weiß zwar nicht, was Nanni in ihrer Nase sucht, es muss sich jedenfalls um etwas Größeres handeln. Meine Fingernägel klappern nervös auf der Kaffeetasse.
»Noch einmal! Wenn wir es Mama nicht erzählen, dann weiß sie es nicht! Und wenn sie es nicht weiß, dann kann sie uns auch nicht bestrafen. Klar?«
Ganz bewusst wähle ich das Wort ›uns‹, das soll das Gruppengefühl stärken. Das habe ich mal während einer Firmenschulung gelernt. Noch fünfzig Minuten, dann steht Conny auf der Matte,
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