Lügen haben rote Haare
und die haben es noch immer nicht kapiert!
Ich muss anders vorgehen, viel pädagogischer. »Okay. Nehmen wir einmal an, eine von euch müsste während des Schulunterrichts Pipi. Und nehmen wir mal an, eine von euch würde ganz zufällig auf dem Weg zum Klo auf dem Schulhof die vielen Fahrräder, mit denen die Kinder zur Schule kommen, sehen. Wir nehmen mal weiter an, dass euch plötzlich ein Schabernack in den Sinn käme.«
Gespannt hängen Hanni und Nanni an meinen Lippen. Ich reibe Daumen und Zeigefinger schnell aneinander. »Zssst, Luft raus. Nehmen wir weiter an, ihr würdet dann noch die Luftpumpen wegwerfen.« Ich klopfe mir vor Lachen auf den Schenkel. Hanni kichert. Nannis Finger verschwindet noch tiefer im rechten Nasenloch.
»So, und jetzt nehmen wir mal an, eine von euch würde nach dem Spaß wieder ins Klassenzimmer zurückgehen. Und nach Schulschluss würden ganz viele Kinder vor platten Reifen stehen! Na? Wer würde eine von euch bestrafen? Denkt nach!«
»Niemand!«, juchzt Hanni. »Weiß ja keiner, dass wir das getan haben!«
»Bingo!«, rufe ich aufatmend. »Und würde eine von euch freiwillig verraten, wer das gemacht hat?«
Die Kinder tippen sich synchron an die Stirn. »Wir sind doch nicht doof!«
»Eben, genau! Und genauso ist das mit dem Auto, was da so dumm im Weg herumstand, als ihr mit dem Nagel gespielt habt.« Ich lege einen Zeigefinger vor die Lippen. »Pst, kein Wort und alles ist gut.«
Die beiden scheinen es nun endgültig verstanden zu haben, denn Hanni springt auf und schielt ins Wohnzimmer. »Können wir dann Fernsehen gucken, bis Mama kommt?«
»Logisch«, sage ich grinsend.
Um 15:02 Uhr klingelt es, das Bild auf dem TV-Gerät verschwindet. Die Zwillinge sitzen – zwar vollkommen verdreckt, aber artig – mit geradem Rücken auf der Couch.
Conny trägt in jeder Hand mindestens drei exklusive Papiertüten, die auf Einkäufe in noblen Boutiquen schließen lassen.
Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Oh, war in der Sauna und beim Italiener Ausverkauf?«
Meine Schwester findet meine Bemerkung lustig, denn sie kichert albern.
»Ich habe umdisponiert. Wann habe ich an einem Samstag schon mal Zeit für einen Einkaufsbummel. Und Anton war ebenfalls nicht abgeneigt, einige Stunden für sich zu haben.«
Sie leert alle Tüten, bis auf eine, auf dem Fußboden aus. Hauchdünne Dessous und feine Seidentops schmiegen sich auf nackte Fliesen. Ich muss neidlos gestehen, dass Connys Geschmack für edle Klamotten jedenfalls nicht unter der Schwangerschaft gelitten hat. Die Kinder setzen sich begeistert zu uns, Conny klopft auf kleine Schmutzfinger, die nach den »wie schöööön« Sachen grapschen. Nachdem sie mir jedes Teil vor die Nase gehalten hat, rafft sie alles in Sekundenschnelle wieder in die Papiertaschen.
Nanni pult schon wieder! Das Kind hat doch einen Klaps!
Conny verdreht, mit einem Blick auf ihre Tochter, die Augen. »Na, was hast du wieder angestellt? Raus mit der Sprache.«
Nanni legt erschrocken die Hände in den Schoß und sieht mich hilflos, mit großen Augen, an.
»Weißt du«, erklärt Conny mir, »wenn sie ein schlechtes Gewissen hat, ist die nur in der Nase am Stochern. Das macht die so lange, bis ihr Gewissen wieder rein ist. Diesen Tick hat sie seit ungefähr zwei Wochen.«
Ich lache verunsichert. Hoffentlich bohrt sie jetzt nicht, bis sie volljährig ist!
»Quatsch!«, entgegne ich, jetzt wieder vollkommen selbstsicher. »Sie hat nichts ausgefressen. Schön war es mit meinen Nichten. Wir waren auf dem Spielplatz, ha, was hatten wir für einen Spaß. Nicht wahr, Kinder?«
Conny beäugt mich argwöhnisch, weil meine Stimmlage unnatürlich hoch ist. Ich lenke geschickt ab.
»Was ist denn in der roten Tüte noch versteckt?«
»Das«, sagt Conny feierlich, »das ist für dich! War reduziert, um fünfzig Prozent.«
Sie drückt mir die Henkel in die Hand. Zum Vorschein kommt ein wunderschönes braunes Seidenkleid von Paco Brunelli. Vor Rührung steigen mir Tränen in die Augen, ich bedanke mich mit einer festen Umarmung und vielen kleinen Wangenküsschen. Im Moment sind die Rollen ›Engelchen und Teufelchen‹ vertauscht. Verlegen kratze ich mir den Kopf und bilde mir ein, kleine Hörner zu spüren.
»Dürfen wir dich mal wieder besuchen kommen?« Hanni sieht mich treuherzig an.
»Sicher …, im Januar habe ich oft Langeweile.« Ich gähne.
»Mama, wie lange dauert es noch bis Januar?«
Conny rafft die Tüten zusammen. »Kinder, das dauert noch ein
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