Lügen in Kriegszeiten
sich mit den Jahren nicht verändert und auch nicht verwischt. Jeder Gerichtshof, dem diese zwei sich widerstreitenden Bilder vorgelegt werden, wäre gezwungen, zuzugeben, daß die entstellende Zeichnung von dem Leidenden jeden Tag frisch aufgetragen wurde, und daß er dabei übersah, das gleiche Muster zu wiederholen. Nun muß aber diese Geschichte die Besorgnisse vieler Familien, die Gefangene in Feindeshänden haben, beträchtlich gesteigert haben. Zu Beginn des Krieges haben die Obrigkeiten nicht gezögert, die Unterdrückung der vielen Berichte über das ritterliche Gebaren der Türken unseren Soldaten gegenüber zu empfehlen. In Anbetracht der Chronik der türkischen Regierung mag dies im ganzen vernünftig gewesen sein. Ich möchte aber jenen Obrigkeiten den Vorschlag machen, für die Unterdrückung von Geschichten über die Behandlung unserer Gefangenen, die so zweifelhaft sind wie diese, zum mindesten ebenso zu sorgen.
„ Manchester Guardian“, 19. Dezember 1918.
Auszug aus dem Kommentar des „Artifex“:
Ich darf in diesem Fall über Mangel an bestärkendem Beweismaterial wahrlich nicht klagen. Es wurde mir versichert, daß der Mann, während er auf einer Werft an der Tyne arbeitete, auch (1.) sich im Königlichen Krankenhaus in Salford einer Hautoperation unterzog, (2.) im Leaf Square-Krankenhaus vor Entsetzen irrsinnig geworden ist, (3.) durch sein schreckliches Aussehen die vorzeitige Entbindung und den Tod seiner jungen Frau in Levenshulme verursacht hat, (4.) seine zwölfjährige, schwächliche Tochter in Stockport in solchen Schrecken versetzte, daß sie Anfälle bekam, (5.) neun Monate lang in einem Hause in Weaste gewohnt hat, das er nur in der Dunkelheit verließ, weshalb keiner seiner Nachbarn ihn gesehen hat, und (6.) daß er während der ganzen Zeit in Gorton, Swinton, Pendlebury und Tylbesley gelebt hat.
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Die Leichenfabrik
Es soll hier in einer Reihe von Auszügen die Geschichte einer der empörendsten Lügen, die während des Krieges erfunden wurden, dargelegt werden, deren Ausstreuung nicht nur in diesem Lande, sondern auf der ganzen Welt, sowohl von der Regierung als auch von der Presse begünstigt und stillschweigend gutgeheißen wurde. Sie tauchte im Jahre 1917 zum ersten Male auf und ist erst im Jahre 1925 endgültig zerstört worden.
(Die meisten der nachfolgenden Anführungen sind den Times entnommen. Man wird sich erinnern, daß die Berichte in den Zeitungen niedrigeren Ranges noch viel gruseliger waren.)
Einer der amerikanischen Konsule erzählte nach seiner Abreise aus Deutschland im Februar 1917 in der Schweiz, daß die Deutschen aus den Leichnamen ihrer Toten Glyzerin destillieren.
,,Times”, 16. April 1917.
Herr Karl Rosner, der Berichterstatter des Berliner Lokalanzeigers an der Westfront … veröffentlichte letzten Dienstag das erste, bestimmte deutsche Geständnis bezüglich der Art, auf welche die Deutschen Leichen verwerten.
Wir wandern durch Everingcourt. In der Luft ist ein dumpfer Geruch, als ob Kalk gebrannt würde. Wir schreiten durch die große Kadaververwertungsanstalt dieser Heeresgruppe. Aus dem hier gewonnenen Fett wird Schmieröl hergestellt, und alles übrige wird in der Knochenmühle zu einem Pulver gemahlen, das als Beimischung zum Schweinefutter und als Dünger verwendet wird – nichts darf vergeudet werden.
„Times“, 16. Apri1 1917.
Am 17. April 1917 erschien in den Times ein Bericht aus La Belgique (Leyden), den diese der Indépendance Belge entnommen hatte, der eine lange und ausführliche Beschreibung einer Fabrik der Deutschen Abfallverwertungs-Gesellschaft bei Koblenz enthielt, wo Züge voll nackter, in Bündel zusammengeschnürter Leichname deutscher Soldaten ankommen und in großen Kesseln gesotten werden, um daraus Stearin und raffiniertes Öl zu gewinnen.
In den Times vom 18. April 1917 war ein Brief von E. E. Bunbury, in dem empfohlen wurde, die Geschichte für Propagandazwecke in neutralen Ländern und im Osten zu verwerten, wo sie besonders dazu geeignet sei, den Buddhisten, Hindus und Mohammedanern Abscheu einzuflößen. Er riet zu deren weitester Verbreitung durch das Auswärtige, das Indische und das Kolonialamt. Am 19. April erschienen noch mehrere Briefe ähnlichen Inhaltes.
Die Times vom 20. April 1917 brachten eine Geschichte des Unteroffiziers B. von den Kents, der erzählte, daß ein Gefangener ihm gesagt habe, daß die Deutschen ihre Leichen verkochen, um daraus Munition und Schweine-
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