Lügen in Kriegszeiten
herstammte.
Der Propagandawert der Medaille war, wie uns Lord Newton versichert hat, sehr groß. Der durch sie geschaffene Eindruck war vollkommen und absichtlich falsch.
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Bericht über eine abgebrochene Versammlung
Es gab amtliche Horchposten, Telephongesprächsabhorcher, Brieföffner usw. dutzendweise. Mit der Tätigkeit dieser wollen wir uns hier nicht befassen. Aber man kann sich vorstellen, welche Menge von Spionengeschichten und von „verbürgten“ Geschichten wir ihnen verdanken. Es sei hier ein amüsantes Beispiel von einem Beamten, der im November 1915 zu einer Versammlung der Union of Democratic Control in der Memorial Hall geschickt wurde, um darüber Bericht zu erstatten, angeführt. Major R. M. Mackay (von den Argyll und Sutherland Highlanders) war Unter-Generalprofos, und er sandte einen Bericht ein, der am 7. Dezember von Mr. Tennant, dem Unterstaatssekretär im Kriegsministerium, im Unterhause größtenteils verlesen wurde. Durch den Umstand, daß die Versammlung von Soldaten, die sich mittels gefälschter Eintrittskarten Zutritt verschafft hatten, gesprengt wurde, war die Aufmerksamkeit auf sie gelenkt worden. Der Bericht des Generalprofos war so phantastisch, daß es beinahe den Anschein hatte, als ob er der Versammlung überhaupt nicht beigewohnt haben könne. Aber selbstverständlich galt das Zeugnis eines so hohen Beamten als ausschlaggebend. Er beschuldigte Mr. Ramsay MacDonald, die Soldaten dadurch gereizt zu haben, daß er den Auftrag gab, einige von ihnen auszuweisen. Es war keine Spur von Wahrheit an dieser Behauptung. Außerdem berichtete er, daß jemand, „dessen Namen er nicht feststellen konnte“, eine aufreizende Sprache geführt habe. Er beschrieb Aufwärterinnen, „die nicht nur teutonisch aussahen, sondern auch nach ihrem Akzent als Teutonen klassifiziert werden konnten“, deren Bemerkungen er gehört hatte. Es erübrigt sich, zu sagen, daß kein Teutone und niemand mit einem teutonischen Akzent sich im Gebäude befand.
Als Mr. Tennant bei einer späteren Gelegenheit versuchte, Teile des Berichtes, die er verlesen hatte, wegzuerklären, erschien in der Westminster Gazette folgender Kommentar:
Mr. Tennant erklärte, daß er seine Antwort, in der von Aufwärterinnen mit teutonischem Akzent die Rede war und Mr. Ramsay MacDonald Worte in den Mund gelegt wurden, die er niemals gebraucht hatte, in der Eile aus einem ihm erstatteten Bericht gelesen habe. Minister sind gezwungen, sich auf solche Berichte zu verlassen, aber die Worte sollten streng redigiert werden, ehe sie im Hause verlesen werden. Wenn diese Vorsichtsmaßregel vernachlässigt wird, dann laden sich die Minister ganz unnötigen Ärger und Verdruß auf.
Im Jahre 1917 wurde der verlässige Generalprofos beschuldigt, ungerechten Arrest verhängt zu haben. Im Mai 1918 stand er unter der Anklage, seinen Freunden Soldaten als Gärtner usw. „ausgeliehen“, öffentliche Gelder veruntreut zu haben usw. Einige der vielen gegen ihn erhobenen Anklagen wurden abgewiesen, jedoch wurde später im Verlauf desselben Jahres verkündet, daß er „laut Urteilsspruch des Obersten Kriegsgerichtes seiner Stellung enthoben sei“. ( London Gazette Supplement, 12. August 1918 .)
Beim Beweisverfahren kam heraus, daß er seit Jahren taub war .
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Greuelgeschichten
Der Krieg ist an und für sich ein Greuel. Grausamkeit und Leiden sind von ihm untrennbar. Es geschehen Gewalttaten und Unmenschlichkeiten, wie jedermann weiß. Die Menschen werden von der Obrigkeit angespornt, jeder elementaren, tierischen Leidenschaft zu frönen. Aber die Übertreibung und Erfindung von Greueltaten wird bald der Hauptgegenstand der Propaganda. Geschichten von deutschen „Schrecklichkeiten“ in Belgien wurden in solch großer Anzahl in Umlauf gesetzt, um damit von der schändlichen Grausamkeit des deutschen Heeres ausreichende Beweise zu erbringen und die öffentliche Meinung gegen dasselbe in Wut zu versetzen. Es wurde ein belgischer Ausschuß gebildet und später ein Ausschuß unter dem Vorsitze von Lord Bryce, der eigens dazu erkoren wurde, um die öffentliche Meinung in Amerika, wo er als Botschafter sehr beliebt gewesen war, zu beeinflussen. Vereidigte Zeugenaussagen galten als endgültige Beweise.
Eine menschliche Zeugenaussage ist bestenfalls unzuverlässig, sogar bei gewöhnlichen, belanglosen Vorfällen, wenn aber Vorurteile, Gefühle, Leidenschaft und sogenannter Patriotismus die Gemüter verwirren, wird eine
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