Lügen in Kriegszeiten
persönliche Bestätigung vollends wertlos.
Es wäre unmöglich, sich mit allen Greuelgeschichten zu befassen. Sie wurden in Flugblättern, Flugschriften, Briefen und Reden Tag für Tag verbreitet. Hervorragende Leute von Ruf, die davor zurückgeschreckt wären, ihren bittersten persönlichen Feind auf Grund der Beweise, die ihnen vorlagen, oder vielmehr von Mangel an Beweisen, zu verurteilen, zögerten nicht mit dem Beispiel voranzugehen, wenn es galt, eine ganze Nation jeder erdenklichen Roheit und der unnatürlichsten Verbrechen zu bezichtigen. Die Times brachten „Marschlieder“, von einem hervorragenden Lehrer in Eton geschrieben, in welchen sich Zeilen, wie die folgenden fanden:
Sie erschossen Mütter und Kinder,
Mütter und kleine Kinder;
Sie erschossen Mütter und Kinder,
Und lachten als sie starben.
Es seien hier ein oder zwei Beispiele von als falsch erwiesenen Aussagen, die unter dem Druck der Erregung und Entrüstung gemacht wurden, angeführt:
Es wurde berichtet, daß 30–35 deutsche Soldaten in das Haus des Fuhrmanns David Tordens in Sempst eindrangen, ihn mit Stricken banden, dann fünf oder sechs von ihnen seine dreizehnjährige Tochter vor seinen Augen überfielen, vergewaltigten und hierauf auf Bajonette aufspießten. Nach dieser schauerlichen Tat erstachen sie seinen neunjährigen Sohn und erschossen seine Frau. Er selbst wurde nur durch das rechtzeitige Eintreffen belgischer Soldaten gerettet. Überdies wurde behauptet, daß alle Mädchen in Sempst von den Deutschen überfallen und vergewaltigt wurden.
Der Gemeindesekretär, Paul van Boeckpourt, der Bürgermeister, Peter van Asbroeck und sein Sohn, Louis van Asbroeck, gaben am 4. April 1915 die vereidigte Erklärung ab, daß der dem Fuhrmann David Tordens gegebene Name ihnen gänzlich unbekannt ist; daß eine solche Person auch vor dem Kriege nicht in Sempst gelebt hat, und daß sie in der Gemeinde nicht bekannt ist; daß während des Krieges keine Frau und kein Kind unter vierzehn Jahren in Sempst getötet wurden, und daß, wenn so etwas vorgefallen wäre, sie sicher davon Kenntnis hätten 8 .
Ein anderer veröffentlichter Bericht besagte, daß die Deutschen in Ternath einen Knaben angetroffen und ihn nach dem Weg gefragt hätten. Als der Knabe sie nicht verstand, hätten sie ihm beide Hände abgehackt.
Erklärung des Bürgermeisters von Ternath, Dr. Poodt, am 11. Februar 1915:
„Ich erkläre hiermit, daß an dieser Geschichte kein Wort wahr ist. Ich bin seit Kriegsbeginn in Ternath, und es ist ganz ausgeschlossen, daß mir ein solcher Vorfall nicht berichtet worden wäre; es ist dies eine reine Erfindung.“
Nach der Veröffentlichung der verschiedenen Berichte erließen fünf amerikanische Kriegsberichterstatter folgende Erklärung:
Um die Wahrheit bekanntzumachen, erklären wir hiermit einstimmig die Geschichten von deutscher Grausamkeit, nach dem, was wir in der Lage waren zu beobachten, als unwahr. Wir sind zwei Monate lang bei dem deutschen Heere gewesen und haben die Truppen auf einer Strecke von über hundert Meilen begleitet, vermögen aber über keinen einzigen Fall von unverdienter Strafe oder Vergeltungsmaßnahme zu berichten. Wir sind auch nicht imstande, die Gerüchte über Mißhandlungen von Kämpfern oder Nichtkämpfern zu bestätigen. Nachdem wir mit den deutschen Truppen durch Landen, Brüssel, Nivelles, Buissière, Haute-Wiherie, Merbes-le-Château, Sorle-sur-Sambre und Beaumont gezogen sind, haben wir nicht die geringste Grundlage, auf der wir einen Fall von Ausschreitung aufbauen könnten. Wir fanden zahlreiche Gerüchte nach Untersuchung völlig unbegründet. Die deutschen Soldaten bezahlten alles, was sie kauften und achteten das Privateigentum und die Zivilrechte. Wir fanden, daß belgische Frauen sich nach der Schlacht von Buissière vollkommen sicher fühlten. In Merbes-le-Château wurde ein Bürger erschossen, aber niemand konnte seine Unschuld beweisen. Flüchtlinge, die von Grausamkeiten und Brutalitäten erzählten, konnten absolut keinen Beweis erbringen. Die Zucht der deutschen Soldaten ist ausgezeichnet; keine Trunkenheit. Der Bürgermeister von Sorle-sur-Sambre stellte freiwillig alle Gerüchte über Grausamkeiten in diesem Distrikt in Abrede. Für die Wahrheit des obigen verbürgen wir mit unserem Ehrenwort als Journalisten.
( Unterzeichnet ) Roger Lewis, Associated Preß ; Irwin Cobb, Saturday Evening Post , Philadelphia Public Ledger , Philadelphia; Harry Hansen, Chicago
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