Lügen in Kriegszeiten
anderen, ähnlichen Fall Erkundigungen ein, und ich werde Ihnen gerne über denselben Bericht zukommen lassen, sobald ich die näheren Umstände in Erfahrung gebracht habe.
Der belgische Konsul schrieb in einem Brief, datiert vom 11. März:
Obgleich ich von vielen Fällen von Mißhandlungen belgischer Mädchen gehört habe, so hat die Untersuchung jedesmal ergeben, daß nicht ein Funke von Wahrheit daran ist. Ich weiß auch von keinem Mädchen in Sheffield, dem die Nase abgeschnitten und der Bauch aufgeschlitzt worden wäre.
Ich habe auch Fälle in anderen Städten untersucht, aber es ist mir noch nicht gelungen, irgendeiner greifbaren Bestätigung habhaft zu werden.
Der Geistliche schrieb darauf an seinen Korrespondenten:
Ich schreibe an meine alte Kirche in Letchford einen Brief, der am nächsten Sonntag verlesen werden soll, in dem ich die Geschichte, die ich auf Grund anscheinend unwiderlegbarer Angaben erzählte, widerrufen werde. Ich bin froh, daß ich nicht die ganzen behaupteten Tatsachen, wie sie mir übermittelt wurden, erzählt habe.
Mit bestem Dank für ihre Zeilen und ihre Anfrage.
Es steht jedoch zu befürchten, daß seine erste Zuhörerschaft, mit der Bestätigung der Geschichte von der Kanzel herab befriedigt, sie weithin verbreitete, so daß der Widerruf nicht überall, wo sie hingedrungen war, vernommen werden konnte.
Mit den Schauergeschichten aus der ausländischen Presse ließe sich eine ganze Bibliothek füllen. Ein Blick in irgendeine ausländische Zeitung wird zeigen, daß kaum auf einer Seite von jeder Ausgabe eine solche fehlt. In Osteuropa waren die Geschichten besonders schauerlich. Sie waren die fast konventionelle journalistische Ausdrucksweise in allen kriegführenden Ländern. Die Verrohung des europäischen Geistes wurde gründlich besorgt. Aber der moralischen Entrüstung und sogar dem physischen Ekel wurde durch das Übermaß von Greueln und den schreienden Übertreibungen Einhalt getan. Es kann in der Geschichte des Journalismus keinen schmachvolleren Zeitabschnitt geben, als die vier Jahre des Weltkrieges.
Eine neutrale Zeitung ( Nieuwe Courant ), die im Haag herausgegeben wird, faßte am 17. Januar 1916 die Wirkung der Propaganda folgendermaßen zusammen:
… Die papierne Kriegspropaganda ist ein Gift, das Außenstehende nur in sehr kleinen Dosen vertragen können. Wenn die Kriegführenden fortfahren, es zu verabreichen, wird die Wirkung gerade die gegenteilige von der erwarteten sein. So verhält es sich mit der Fülle von Literatur über den Fall Cavell und den verschiedenartigen Formen, in denen uns das Baralong Gift dargeboten wird. Wir lassen mit einem gewissen Ekel davon ab, nachdem wir es versucht haben, und ärgern uns über den bitteren Nachgeschmack – die verheißenen Wiedervergeltungen …
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Gefälschte Photographien
Für den Uneingeweihten ist ein Bild, das offensichtlich nach einer Photographie hergestellt wurde, etwas wirklich Verlässiges. Nichts könnte glaubwürdiger scheinen als eine Momentausnahme. Es fällt niemandem ein, eine Photographie anzuzweifeln, und gefälschte Photographien sind von besonderem Werte, da sie von Anfang an mehr Glauben finden als bloße Erklärungen, die kritisiert und widerlegt werden können. Ihre Falschheit kann, wenn überhaupt, erst nach langer Zeit entdeckt werden. Die Fälschung von Photographien muß sich während des Krieges beinahe zu einer Industrie entwickelt haben. Alle Länder befaßten sich damit, aber die Franzosen waren Meister in dieser Kunst. Einige von den Originalen sind gesammelt und nachgebildet worden.
Es seien hier einige von ihnen beschrieben:
Im Echo vom 29. Oktober 1914 war eine Photographie von deutschen Truppen, wie sie aus einem Landwege dahinmarschieren.
Diese brachte Le Journal vom 26. November 1914 unter dem Titel:
Die Deutschen auf dem Rückzuge.
Diese Photographie gibt ein anschauliches Bild von der Art des Rückzuges der Armee des Generals von Hindenburg nach der Schlacht an der Weichsel.
Eine von Karl Delius, Berlin, aufgenommene Photographie zeigte die Ablieferung von Postsäcken vor dem Feldpostamt in Kawewara.
Diese brachte der Daily Mirror vom 3. Dezember 1915 mit der Überschrift:
Sie müssen die schmutzige Wäsche der Hunnen waschen.
Die blonden Bestien lassen die Serben, die die schmutzige Wäsche der Eindringlinge waschen müssen, sich abplagen. Wie die meisten Kunden, die ihre Rechnungen nicht begleichen, sind sie
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