Lügen & Liebhaber
Oskar doch ein ganz normaler Partner sein, auch wenn er hysterisch war und übertriebenen Wert auf Äußerlichkeiten legte. Zum ersten Mal, seit wir was am Laufen hatten, fühlte ich so etwas wie Geborgenheit. Und unser Sex würde im Laufe der Zeit bestimmt an Authentizität gewinnen. Blieb nur die Frage, ob Oskar überhaupt eine feste Beziehung wollte und was mit den homosexuellen Anwandlungen war, die er vermutlich manchmal hatte.
Ich rackerte mich gerade damit ab, Oskar ein neues Kondom überzuziehen – er selbst hatte eins verschwendet, weil er es von der falschen Seite hatte überstreifen wollen –, als es klingelte. Erschrocken richtete ich mich im Bett auf.
»Erwartest du Besuch?« fragte Oskar. Mein ganzes Kunstwerk war schlagartig hinüber.
Ich schüttelte den Kopf und legte mich wieder hin. »Am besten ignorieren …«
»Vielleicht ist es ein Geburtstagstelegramm?«
Ich tippte mir gegen die Stirn. Wer verschickte im Zeitalter von Handys und E-Mails noch Telegramme?
Schon klingelte es wieder, diesmal mehrfach hintereinander.
»Willst du wirklich nicht aufmachen?«
»Wer was von mir möchte, soll vorher gefälligst anrufen.« Im gleichen Moment schoß mir durch den Kopf, daß Toni möglicherweise etwas zugestoßen war.
»Ich habe meiner Ex deine Nummer gegeben. Wegen Nina. Du weißt schon …«
»Wenn sie nur meine Telefonnummer hat, kann sie ja wohl schlecht vor der Tür stehen.«
»Sie hat auch deine Adresse.«
»Spinnst du?« Ich fand, das ging jetzt eindeutig zu weit.
Es klingelte abermals. Oskar sah mich bittend an.
»Dann guck wenigstens durch den Spion! Ich würde es mir nie verzeihen, wenn …«
»O Mann!«
Mit großer Geste schlug ich die Decke zur Seite, zog hastig das Vivienne-Westwood-T-Shirt über und wickelte meinen Unterkörper in Oskars Hemd. So schlurfte ich zur Tür. Oskar kam mir nach, indem er immer wieder strauchelnd in seine Unterhosen schlüpfte. Mittlerweile hämmerte es auf absolut nervtötende Weise gegen die Tür. Ein Blick durch den Spion: Es war Karl.
Im Zeitraffer zog ein Sammelsurium der abenteuerlichsten Gedanken durch meinen Kopf, gleichzeitig hörte ich Oskar hinter mir fragen: »Wer ist es denn? Wer ist es denn?«
Ja, wer war es denn? Mein Freund? Meine Kontrollinstanz? Mein Lover? Mein fleischgewordenes Geburtstagspräsent?
»Sylvie, mach schon auf!« rief Karl jetzt von außen. »Ich seh doch, daß Licht brennt!«
Und dann tat ich etwas, das kein Mensch, der einigermaßen bei Verstand war, je tun würde. Ich riß die Tür auf, und während ich ein absolut deplaziertes Lächeln auflegte, rutschte mir zu allem Überfluß das um meinen Unterkörper geschlungene Hemd runter.
*
Nicht wenige Male fragte ich mich hinterher, wie es dazu kommen konnte. Warum mußte ich die Sache mit Oskar und Karl gleichermaßen verderben, und das, obgleich ich im Vollbesitz meiner geistigen Fähigkeiten war? Damals bei Skip und mir und Karl war ich nicht Herrin der Lage gewesen, aber diesmal – verdammt! – ich hätte die Tür nicht aufzumachen brauchen! Ich hätte einfach so tun können, als wäre ich nicht zu Hause. Karl wäre wieder abgezwitschert, und Oskar hätte ich mit irgendeiner Lügengeschichte abgespeist.
Aber nein, als wäre es eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, alles immer nur noch schlimmer zu machen, hatte ich die Tür aufgerissen, unten ohne und mit einem halbnackten Oskar im Schlepptau.
Dafür gab es nur zwei halbwegs plausible Gründe: Karl zeigen, daß er weiß Gott etwas Besseres als mich verdient hatte, und Gockel Oskar klarmachen, daß er nicht der einzige Mann in meinem Leben war. Oder doch anders? Hatte ich mir nur selbst demonstrieren wollen, daß es so nicht weitergehen konnte?
Jedenfalls endete mein ach so perfekter neunundzwanzigster Geburtstag im Fiasko. Karl bespuckte mich mit seinem Kaugummi und verschwand, ohne ein Wort zu sagen. Oskar fragte nicht mal, wer denn dieser unerzogene Typ gewesen sei. Statt dessen zog er sich einfach an und suchte kommentarlos das Weite. Ich legte mich daraufhin wieder ins Bett, erstaunlich gefaßt, und konsumierte akribisch den Geburtstagsalkohol, den mein Kühlschrank noch zu bieten hatte.
Leider waren das derart viele Flaschen, daß ich mich am nächsten Tag mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus wiederfand. Toni hatte mich sozusagen gerettet. Nachdem sie am Morgen danach vergeblich bei mir geklingelt hatte, war sie über ihren Schatten gesprungen und zu Oskar in den Laden gestiefelt. Der hatte
Weitere Kostenlose Bücher