Lügen & Liebhaber
dich zu sehen.« Adriano lächelte mich in einer Weise an, wie er es damals immer nach dem Sex getan hatte. Zärtlich, vielleicht. Oder einfach nur kitschig.
»Was machst du hier?« Leider Gottes fiel mir so gar nichts Originelles ein.
»Wollte mir gerade ein Hemd kaufen.« Adriano deutete auf Oskars Laden. »Für Herrensachen die beste Adresse in der Stadt. Magst du nicht als Beraterin mitkommen?«
Große Scheiße, dachte ich und sagte nur: »Kein Bedarf. Ich stehe nicht auf Tuntenklamotten.«
»Immer noch böse?«
»Gar nicht«, sagte ich so lässig wie möglich. Hoffentlich hatte er mich damals nicht im Supermarkt gesehen und spielte gleich darauf an.
»Was treibst du denn so?«
»Ich promoviere«, sagte ich, ohne mit der Wimper zu zucken. Meine jüngste Karriere bei H & M ging Herrn Dr. Klaus Arndt nichts an.
»Fein. Bei wem denn?«
»Frag lieber, wo. Ich jette zwischen Tübingen und Berlin hin und her. Heinrich Manns Italienbild …«
Es zuckte nervös um Adrianos Mundwinkel, und dann sagte er:
»Na, so was? Ich dachte, dein Herz schlägt für die Minnegrotte?«
»Schon lange nicht mehr.«
»Und sonst?«
»Nichts. Gar nichts.« Ich bemühte mich um ein Lächeln. »Na ja, nicht ganz … Ich habe circa zwanzig Paar neue Schuhe.«
Adriano lachte und beugte sich kurz vor, als wolle er mich berühren, wich dann aber ebenso schnell wieder zurück.
»Ich bin übrigens umgezogen«, sagte er und hatte ganz plötzlich eine Visitenkarte parat, die er mir in die Hand drückte.
»Interessant«, murmelte ich und zerquetschte das Kärtchen, ohne daß Adriano es mitbekam. »Ich muß dann mal …«
»Ja, gut.« Er reichte mir zum Abschied die Hand. »Ich wohne jetzt mit meiner neuen Freundin zusammen. Keine Spielchen mehr …«
Darauf wußte ich nichts zu sagen. Keine Spielchen mehr . Sollte das so etwas wie eine Entschuldigung sein?
»Viel Glück bei deiner Doktorarbeit.« Adriano winkte und verschwand sogleich in Oskars Laden.
Meine Beine zitterten. Das merkte ich erst jetzt, da ich so ganz allein auf der Straße herumstand.
*
Oskar hatte recht. Nur meine Schuhe machten etwas her, mit meinen Klamotten würde ich keinen Blumentopf gewinnen. Das wurde mir klar, als ich vor der Premiere meinen Kleiderschrank durchforstete. Ich konnte noch so tief graben, außer meinem Vivienne-Westwood-T-Shirt ließ sich einfach kein akzeptables Kleidungsstück auftreiben, und für das T-Shirt hatte ich kein passendes Unterteil. In meiner Not zog ich ein schwarzes Kleid aus labbrigem T-Shirt-Stoff an. Es war vom vielen Waschen ausgebleicht und am unteren Rand verzogen. Allein die Tatsache, daß ich darunter ein wunderbares champagnerfarbenes La-Perla-Wäscheset trug – eine kleine Spende aus Adriano-Tagen –, gab mir das Gefühl, gepflegt und sexy zu sein.So fuhr ich zur Oper, brachte die Vorstellung ohne unangenehme Zwischenfälle hinter mich und pinselte mir später die Lippen in einem dunklen Rot an. Toni hatte heute keinen Dienst; sie würde später auf die Feier kommen. Irgendwie war ich schon gelangweilt, bevor das Fest auch nur angefangen hatte. Mit Toni und Henrik konnte ich genausogut zu Hause quatschen, dafür brauchte ich mich nicht in La-Perla-Unterwäsche zu werfen und mich auffallend zu schminken – zumal ich die anderen Kollegen weitestgehend uninteressant fand. Okay Bernd, aber der war seit ein paar Wochen mit dem neuen Statisten zusammen und derart pärchenhaft zugange, daß seine alten Freundinnen Toni und Sylvie zumindest zur Zeit keine große Rolle in seinem Leben spielten. Einen Moment dachte ich, du wischst dir jetzt deinen roten Mund ab, fährst nach Hause und haust dich im Bademantel vor den Fernseher, doch dann wollte ich das Toni nicht antun, schließlich waren wir verabredet.
Mit Lilly, einem neunzehnjährigen Statistinnennachwuchs im Schlepptau, bequemte ich mich durchs Parkett über das Treppenhaus nach oben in den vierten Rang. Lilly nervte. Wollte etwas über das Leben auf den Brettern, die die Welt bedeuten, wissen, während ich nur darüber nachgrübelte, ob Gundi etwas von wegen Häppchen gesagt hatte. Ich war nämlich unglaublich hungrig und hatte nicht die geringste Lust, das Opfer neuester Sparmaßnahmen zu werden.
Zum Glück gab es etwas zu essen. Ich ließ Lilly links liegen und ging ans Büfett, bevor die großen Massen kamen. Toni würde mich schon ausfindig machen. Ich hatte mir gerade ein paar kleine Frikadellen und etwas fettigen Fischsalat auf den Teller geladen, als Henrik
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