Lügen & Liebhaber
tauchte erst gegen neun auf, verschwitzt, und meine Meerestiere waren zu kleinen, fleischfarbenen Popeln geschrumpft. Sein Zuspätkommen hatte den einzigen Vorteil, daß ich mir bereits eine halbe Flasche Weißwein hatte genehmigen können und deshalb einigermaßen milde gestimmt war. Beim Essen ließ ich nicht locker, konnte aber nicht aus ihm herausbekommen, um was für einen geheimnisvollen Termin es sich denn gehandelt habe. Oskar war Meister im Ausweichen. Statt der erwünschten Antwort fand er immer einen Allgemeinplatz,der doch irgendwie paßte und es einem unmöglich machte, dieselbe Frage noch einmal zu stellen.
Dann eben nicht. Ich füllte Oskar mit Wein ab und erzählte ihm von Tonis Schwangerschaft. Leider mußte ich mir daraufhin eine ganze Weile seine Thesen zum Thema Kinderkriegen anhören.
»Was meinst du, was für eine Umstellung das bedeutet! Du schläfst keine Nacht mehr durch, bist gedanklich nur noch mit dem kleinen Wesen beschäftigt, die Frau sowieso … alles, was sie an Zärtlichkeit zu vergeben hat, kriegt nun das Kind. Ganz abgesehen vom Sex. Meine Frau wollte bald ein Jahr lang nicht mit mir ins Bett. Vielleicht ist unsere Beziehung auch deshalb …«
»Oskar«, unterbrach ich ihn. Ich fand, es war jetzt der richtige Zeitpunkt. »Warum willst du eigentlich nicht mit mir schlafen?«
Oskar schaute erst weg, dann fixierte er mich, als gehöre sich das so bei dieser Art Thema.
»Wer sagt denn, daß ich nicht mit dir schlafen will?«
»Du hast es bisher nicht getan. Das ist Tatsache.«
»Was aber nicht bedeutet, daß ich es nicht tun möchte.« Oskar zerkrümelte ein Stück Weißbrot auf dem Tisch.
»Ist denn der Umkehrschluß richtig, daß du es eigentlich willst?« Wahrscheinlich war ich nur so mutig, weil ich schon einiges an Wein intus hatte.
Oskar sagte nichts. Ein paar Krümel klebten an seinen öligen Fingerkuppen. Verdammt – wieso war dieser Mann bloß so verstockt?
»Wenn es irgend etwas gibt, was du mir sagen willst«, herrschte ich ihn an, »dann schieß los!«
Langsam leckte Oskar jeden Finger einzeln ab, bevor er seine Hand nach mir ausstreckte. War jetzt tatsächlich der Moment gekommen? Teil zwei meines Geburtstagsgeschenks?
Ich wußte nicht so recht, ob er wirklich Lust auf mich hatte oder nur nicht den Vorwurf des zimperlichen Liebhabers auf sich sitzen lassen wollte. Jedenfalls beugte er sich weit über denTisch rüber, zeichnete mit dem Mittelfinger den Viereckausschnitt meines neuen T-Shirts nach und sagte nur ein Wort: »Komm.«
Es dauerte nicht mal eine Minute, bis wir ausgezogen in meinem Bett lagen. Oskar wollte diesmal am liebsten ganz aufs Vorspiel verzichten, aber ich ließ es nicht zu. Obwohl soweit alles perfekt war, kam mir Oskars Leidenschaftsausbruch künstlich vor, und auch ich stellte irgendein aufreizendes Gebaren nach, das vermutlich aus lauter Filmzitaten zusammengestückelt war. Trotzdem sollte es ja nun endlich mal passieren, danach würde man weitersehen.
»Können wir nicht ohne?« fragte Oskar, nachdem ich ein Kondom aus dem Bambusdeckelkorb an meinem Bett gefischt hatte.
»Das können wir ganz bestimmt nicht.«
»Wieso nicht?«
»Die Frage muß ich ja wohl nicht beantworten.« Ich riß das Kondom mit den Zähnen auf. »Ach, übrigens: Ich bin nicht lebensmüde. Noch nicht.«
Einen kurzen Moment dachte ich, vielleicht sollten wir es besser ganz lassen, vielleicht war Oskar generell von der leichtsinnigen Sorte, doch dann erklärte er lächelnd, er habe mich nur testen wollen, er selbst hänge auch sehr an seinem Leben.
Der Akt als solcher war zwar technisch in Ordnung, aber emotional nicht berauschend. Ich verstand die Welt nicht mehr. Was brauchte ich denn noch zum vollkommenen Glück? Oskar schien seinerseits sehr zufrieden zu sein. Er holte uns eine Flasche Sekt ans Bett und überschüttete mich mit Zärtlichkeiten, als wäre es die große Offenbarung gewesen, mit mir zu schlafen. Ich nutzte die Gunst der Stunde und versuchte nochmals aus ihm herauszukitzeln, warum er sich bisher immer gesträubt hatte, doch außer einigem albernen Gekicher kam nichts dabei heraus.
Themawechsel. Wir redeten über Toni, Wolfgang Thierse und das Aussterben richtig schmackhafter Tomaten, und als ich Oskar gerade von dem angeblichen Krebsschutz durch Flavonaneerzählen wollte, begann er mich wieder in ziemlich eindeutiger Weise zu streicheln. Im Grunde war es ein rundherum schöner Geburtstag, und einen Moment lang dachte ich, vielleicht könnte
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