Lügen & Liebhaber
mir von schräg hinten ein Küßchen auf die Wange drückte
»Wo ist Toni?« Mit den Fingern angelte ich eine Gurke vom Büfett und steckte sie in den Mund.
»Zu Hause. Ihr geht’s nicht so gut.«
»Schlimm?«
Henrik schüttelte den Kopf. »Sie hatte leichtes Ziehen im Bauch und wollte sich lieber hinlegen.«
»Verstehe.« Ich nahm mir ein zweites Gürkchen. »Aber was machst du hier?«
»Ich soll dir Gesellschaft leisten. Toni hat drauf bestanden.«
»So ein Blödsinn!« Ich fing an zu lachen. »Als ob ich nicht allein zurechtkäme.«
»Das habe ich ihr auch gesagt.«
»Dann geh doch wieder.«
Henrik schaute über meine Schulter hinweg aufs Büfett. »Werde ich auch tun. Aber erst futtere ich noch was.«
Und weil es bequemer war, häufte ich so viel auf meinen Teller, daß es für uns beide reichte. Henrik kümmerte sich inzwischen um die Getränke.
»Wie war die Vorstellung?« fragte er, als er sich wenig später zu mir an einen der mit kleinen Blumensträußen verzierten Tische setzte. Er schob mir ein Glas Sekt rüber.
»Ich wollte heute nichts trinken.«
»Ach, komm! Ein Glas.«
Also gut – ein Glas. Wir stießen an, tranken, und während wir uns über das Essen hermachten, kreuzte Konstantin aus dem Nichts auf. Er begrüßte uns beide überschwenglich und fing ohne Umschweife mit Henrik ein Gespräch über den innerdeutschen Flugraum an.
Klasse, dachte ich. Du ißt dieses fettige Zeug hier auf, leerst dein Glas und gehst artig nach Hause. Mir war es sowieso ein Rätsel, wieso sich Konstantin und Henrik auf Anhieb so gut verstanden. Wenn’s hoch kam, hatten sie sich zuvor anderthalbmal gesehen. Als Henrik einen Moment verschwand, um für Getränkenachschub zu sorgen, sagte Konstantin mir im Brustton der Überzeugung, ich sei wirklich eine klasse Frau, und er finde es mehr als schade, daß wir nie zusammengekommen seien. Mir fiel nicht mal ein blöder Spruch ein, mit dem ich hätte kontern können, denn ganz gegen seine Gewohnheit hatte Konstantin sein Anliegen ohne jede Ironie vorgetragen. Vielleicht sollte ich die Vergangenheit endlich zu den Akten legen, dachte ich.
Dann war Henrik schon wieder zurück. Er hatte gleich eineganze Flasche Sekt mitgebracht, schenkte uns eilig nach, und weil Konstantin mich gerade ein wenig verwirrt hatte, leerte ich mein Glas auf ex.
»So großen Durst?« fragte Konstantin.
»Ich habe ein Alkoholproblem«, versuchte ich zu scherzen, wobei mir das Lachen im Halse steckenblieb. Meine letzten Alkoholexzesse waren wirklich nicht ohne gewesen. Die Jungs lachten, und das war der Anfang eines wunderbaren und ziemlich lustigen Abends zu dritt.
Nie im Leben hätte ich so etwas für möglich gehalten. Ich und Konstantin und Henrik. Keine Mißstimmung, keine Langeweile, nur Lachen und Spaß. Ein bißchen war es allerdings auch Anna Basiles Verdienst. Sie hatte die sonst zur drögen Institution verkommene Premierenfeier als richtiges Event inszeniert. Ein Berliner Discjockey war für halb zwölf bestellt, so daß ich seit langem mal wieder vernünftig tanzen konnte. Mehr mit Henrik als mit Konstantin, weil dieser im Zuge seiner Charakterwandlung nicht automatisch auch an Musikalität dazugewonnen hatte.
»Willst du nicht Toni Bescheid geben?« fragte ich Henrik, als wir mit erhitzten Wangen eine Pause einlegten. Konstantin hatten wir eine Sekunde zuvor beauftragt, Mineralwasser ranzuschaffen. Er tat es, ohne mit der Wimper zu zucken, und ich war durch den Alkohol, das gedämpfte Licht und mein eigenes Lachen so gelöst, daß ich mir nicht eine Sekunde die Frage stellte, wieso er sich plötzlich so verändert hatte.
»Nicht nötig«, meinte Henrik und strich sich eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht. Auch er wirkte viel fröhlicher als sonst.
»Aber sie wird sich Sorgen machen.«
»Toni schläft längst.« Er lächelte und streifte aus Versehen mein Knie. »Außerdem habe ich mein Handy dabei. Wenn etwas ist, wird sie sich schon melden.«
»Schade, daß sie nicht hier sein kann. So eine geniale Premierenfeier hat es noch nie gegeben.«
»Ja. Wirklich schade.«
»Und so eine kommt auch nie wieder.«
Henrik nickte. Er schaute schräg an mir vorbei und sagte dann leise: »Dafür hat Toni bald ein Kind.«
»Ihr beide werdet ein Kind haben!«
Henrik nickte wieder, und die Art, in der er es tat, erinnerte mich an diese Duracell-Batterie-Hasen aus der Werbung.
»Wie findest du es eigentlich?« fragte ich. »Ich mein, wie fühlt man sich, wenn man Vater
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