Lügen & Liebhaber
hingekritzelt – kein Absender. Ich riß ihn auf, zwei handgeschriebene Seiten, am Ende der zweiten Seite stand in etwas größeren Lettern: Dein Karl. Neugierig überflog ich den Brief. In geradezu pathetischen Sätzen beschwor er unseren gemeinsamen Alsterspaziergang, ganz zu schweigen von unserem inspirierenden Essen, das er in jedem noch so winzigen Detail Wiederaufleben ließ, nur unsere Bettgeschichte ließ er taktvollerweise aus. Ohne nachzudenken, zerknüllte ich den Brief und verstaute ihn in meiner Jackentasche. Natürlich fühlte ich mich geschmeichelt, aber irgendwie hatte ich keinen Respekt vor Männern, die sich meinetwegen zum verliebten Affen machten. Und dann diese Anbiederungsversuche in Sachen Berlinreise. Unbedingt solle ich ihn besuchen, vielleicht könne er mir auch einen Job besorgen, Kontakte habe er jede Menge, und schlußendlich wolle er mich wiedersehen – mich!
Ich muß ja wirklich eine phantastische Person sein, dachte ich, während ich mich durch einen fein dosierten Frühlingsregen zur U-Bahn vorarbeitete. Hoffentlich würde Adriano das auch finden und endlich mal den Mut haben, es mir auch zu zeigen.
Den ganzen Weg zur Uni sonnte ich mich in dem wohligen Gefühl absoluten Begehrtseins, und als ich im Fahrstuhl des Philosophenturms stand, um in den vierten Stock zu fahren, fühlte ich mich gewappnet und stark wie selten. Adriano würde Farbe bekennen müssen, sonst … Ja – was sonst?
Vor seinem Dozentenzimmer warteten bereits drei Frauen. Schon immer hatte ich es gehaßt, hier auf dem Fußboden herumzuhocken und meine Zeit zu vertrödeln, zumal der große Meister es im Laufe der Jahre nicht mal für nötig befunden hatte, ein paar Stühle rauszustellen.
»Dauert’s lange bei euch?« fragte ich die Studentinnen, die mich alle drei anschauten, als hätte ich gerade etwas absolut Unverständliches gesagt.
Das Geschöpf, das der Tür zum heiligen Tempel am nächsten saß und dessen lange Beine in Leggings im Kuhfellook steckten, schüttelte den Kopf, wobei die Metallbrille leicht verrutschte. Das Mädel neben der Langbeinigen sah mich immer noch begriffsstutzig an und ließ sich zu keiner weiteren Reaktion hinreißen. Nur die dritte, eine hübsche Blondine mit nahezu unsichtbaren Augenbrauen, sagte höflich: »Will nur meine Hausarbeit abholen.«
Bestimmt ist sie scharf auf ihn, dachte ich, ein Wunder, wenn nicht. Ich nickte freundlich zurück und überlegte, ob ich ihr nicht stecken sollte, daß Adriano nackt gar nicht das hermachte, was man sich ausmalte. Ein bißchen leptosom war er schon, und dann die vielen Besenreiser an seinen Oberschenkeln …
Frustriert hockte ich mich neben meine Nebenbuhlerin und fummelte an meinen Fingernägeln herum. Hatte ich es eigentlich nötig, mir wegen Adriano ein kaltes Hinterteil zu holen? Außerdem verließ mich schon fast wieder der Mut. Sich sein eigenes Grab schaufeln – wer tat das schon gern.
Dann ging die Tür auf, und ein sonnenstudiogebräuntes George-Clooney-Imitat schlurfte aus dem Zimmer. Die Leggingträgerin verschwand in Adrianos Zimmer, kam tatsächlich kurz darauf wieder heraus und hielt ihrer Nachfolgerin noch die Tür auf. Kaum war die Tür wieder zu, lächelte mich meine Sitznachbarin vertrauensselig an.
»Hölderlin-Seminar?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ist aber riesig«, fuhr sie fort. »Ich meine, Arndt ist schon riesig.« Sie grinste, indem sie kokett die Nase krauszog, und als ich immer noch nichts sagte, nervte sie weiter: »Welches Seminar hast du bei ihm belegt?«
Ich ließ sie noch eine Weile zappeln, sagte dann mit zumindest einer hochgezogenen Augenbraue: »Gar keins. Ich bin gerade mit meinem Magister durch.«
Erst nach einer Weile fand das Mädchen seine Sprache wieder und fragte mich, ob die Prüfungen sehr schwer gewesen seien.
»Geht so.«
»Und wie ist Arndt als Prüfer?«
»Keine Ahnung. Hab mich nicht bei ihm prüfen lassen.«
»Ach so …« Jetzt schaute sie auf ihre Füße. Es sah so aus, als grübele sie darüber nach, was ich denn noch bei ihrem vermutlich heißgeliebten Arndt zu suchen hatte.
Zum Glück trat jetzt die Begriffsstutzige aus Adrianos Zimmer, so daß ihr keine Zeit mehr blieb, mich auch das noch zu fragen. Sie blieb tatsächlich eine geschlagene halbe Stunde in Adrianos Zimmer, und als sie rauskam, glühten ihre Wangen. Na warte, Professore, dir wird das Lachen noch vergehen.
Der Maestro thronte in seinem mit Tintenflecken besudelten Ledersessel und stierte mich über
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