Lügen & Liebhaber
ihn, wobei sie mich anlächelte.
Du hast aber häßliche Zähne, dachte ich, weil das die einzige Möglichkeit war, nicht die Fassung zu verlieren.
»Darf ich vorstellen?« sagte Adriano. »Mette – Sylvie.«
»Angenehm«, brachte ich mühsam hervor und machte, daß ich wegkam.
*
Für den Rest des Tages war ich derart mit den Nerven am Ende, daß ich nur noch auf meinem Sofa liegen konnte, das ich mir wie ein Krankenlager mit Wolldecke, Teekanne, Zwieback, Büchern, Zeitschriften und Fernbedienung hergerichtet hatte. Weder ging ich ans Telefon, noch mochte ich mich bei Toni melden, ich warf lediglich im Fünf-Minuten-Rhythmus meine vollgeheulten Taschentücher in einen als Papierkorb umfunktionierten Eimer.
Liebeskummer nannte man das wohl. Endzeitstimmung, Heulkrämpfe, Herzstiche – all das begleitet von dem Drang, mich sinnlos durch die Kanäle zu schalten. Ich wollte an nichts mehr denken und schon gar nicht an Adriano, die bisher größte Nullnummer in meinem Leben. Aber je länger ich auf das flimmernde Quadrat starrte, in dem sich, Menschen die unsinnigsten Wortgefechte zu noch unsinnigeren Themen lieferten, desto stärker drängte er sich in mein Bewußtsein, bis ich schließlich gar nichts anderes mehr im Kopf hatte.
Da betätigte ich den Aus-Knopf und hängte mich, nachdem ich mir rasch eine Flasche Rotwein ans Sofa geholt hatte, doch ans Telefon. Toni war nicht zu Hause – warum tat sie mir das bloß an, wen sollte ich denn sonst anrufen? Meiner Mutter konnte ich schlecht von meinen Beziehungskapriolen erzählen, auch wenn sie mittlerweile an Männern mit silbrigen Koteletten Gefallen fand.
Ich ging zurück ins Wohnzimmer, schaltete zum zweiten Mal an diesem Tag den Fernseher ein und suchte in meiner Tasche nach einem Paket Taschentücher. Dabei fiel mir wieder Karls Brief in die Hände. Ich strich ihn glatt und las ihn noch einmal in Ruhe durch. Jedes Wort, jede Silbe prüfte ich genauestens, bevor ich mich weiter durch das Geschriebene arbeitete. Der Text gefiel mir besser als heute morgen, viel besser Wie gut, daß ich Adriano mit Karl betrogen hatte. Wenn er auch sonst nichts verdient hatte – das allemal!
Ohne eigentlich zu wissen, was ich damit bezweckte, griff ich erneut zum Telefonhörer und wählte die Nummer, die Karl mit dickem Rotstift seitlich auf die erste Seite geschrieben hatte.
Meine linke Hand langte gleichzeitig nach der Fernbedienung. Ich zitterte. Adriano, du elendiges Schwein, dachte ich noch, und dann meldete sich Karl.
»Hallo?« sagte er, nur diese zwei Silben, sie waren als Frage formuliert, neugierig, wenn auch etwas mürrisch. Aber jetzt, durch die Entfernung von dreihundert Kilometern, ging mir auch zum ersten Mal auf, daß seine Stimme ein ungewöhnliches Timbre hatte. Sie war kehlig und rauh, als arbeite Karl täglich unter Einsatz einiger Liter Wodka daran, ihren Klang zu perfektionieren. Jeder von uns tat einen Atemzug, und dann sagte ich ebenfalls »hallo«, wobei ich im Gegensatz zu ihm die erste Silbe betonte.
Karl erkannte mich sofort.
»Sylvie! Wie geht’s dir? Was machst du? Hast du schon den Brief bekommen?« Er legte eine Begeisterung an den Tag, daß es mir fast die Sprache verschlug. Ja, ich hätte den Brief erhalten, vielen Dank auch, und da Karl plötzlich schwieg, als erwarte er, ich würde etwas sehr Bedeutendes sagen, fragte ich ihn, wie denn das Wetter in Berlin sei.
»Phantastisch. Hier ist es meistens besser als in Norddeutschland, zumindest regnet es nicht so viel, und wenn du magst, überzeuge dich doch davon, ich meine, natürlich nur; falls es deine Zeit erlaubt.«
Meine Zeit erlaubte ja so einiges – schließlich war ich jetzt ganz eindeutig solo und zudem schrecklich liebeskrank –, warum sollte ich also nicht auf seinen Vorschlag eingehen?
»Sylvie? Bist du noch dran?«
»Ja. Ich überlege nur …«
»Was gibt es da zu überlegen? Du kriegst ein Gästezimmer für dich allein, da behelligt dich niemand, und du kannst tun und lassen, was du willst.«
Das war ein Wort. »Okay«, sagte ich. »Wann soll ich kommen?«
»Wann willst du kommen?«
»Morgen?«
Karl war schlichtweg überwältigt. Ich erklärte ihm, ich würde mich sofort nach einer Zugverbindung erkundigen und ihnmöglichst schnell zurückrufen. Als wir kurz darauf auflegten, fragte ich mich, wieso ich mich überhaupt auf so ein Unterfangen einließ. Vermutlich würde es nicht unbedingt dabei helfen, Adriano schneller zu verdauen. Ganz abgesehen davon, daß ich mir
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