Lügen & Liebhaber
vorgenommen hatte, mich nicht mehr in zweifelhafte Männergeschichten zu verstricken.
Aber als hätte ich ein Computerprogramm in Gang gesetzt, das sich nun nicht mehr stoppen ließ, schaltete ich den Fernseher aus und schaute im Spielplan nach, ob in den nächsten Tagen irgendwelche Vorstellungen anstanden. Zum Glück lief nur einmal Carmen, Gundi würde schon einen Ersatz für mich organisieren. Ich sprach ihr aufs Band, danach erkundigte ich mich im Reisebüro nebenan nach Zugverbindungen. Wenig später rief ich Karl zurück und teilte ihm mit, ich würde 17 Uhr 32 am Bahnhof Zoo ankommen. Sicher, er hole mich ab, er sei zuverlässig wie sein Eierkocher. Dann legte ich auf und packte eine Tasche zusammen, als würde ich für einen Monat verreisen wollen. Neben etlichen T-Shirts, Röcken und Hosen stopfte ich acht Paar Schuhe hinein. Ich verreiste nie, ohne nicht mindestens ein halbes Dutzend Paar Schuhe im Gepäck zu haben. Toni hinterließ ich eine Nachricht auf Band: Wenn nichts mehr hilft – vielleicht ein Ortswechsel. Ich halte dich auf dem laufenden.
*
Karl war tatsächlich von der zuverlässigen Sorte. Jedenfalls posierte er schon lächelnd auf dem Bahnsteig und verrenkte sich den Kopf nach mir. Kurz darauf standen wir einander gegenüber, beide verunsichert. Karl stemmte seine Hände in die Hüften, so daß seine Rettungsringe bestens zur Geltung kamen. Ansonsten sah er gut aus. Frischer als auf dem Rückflug. Rosige Wangen schimmerten durch seinen Bartschatten. Dann ging sein Lächeln in ein breites Lachen üben, er beugte sich vor, und sogleich explodierten mehrere Küßchen auf meiner Wange. Er freute sich wirklich, mich zu sehen – wer konnte schon von sichbehaupten, es mit Menschen zu tun zu haben, die es auch ehrlich mit einem meinten?
Karl nahm mir meine bleischwere Tasche ab, enthielt sich aber jeglichen Kommentars und schleppte das Teufelsding die Treppe runter Eigentlich hatte ich angenommen, wir würden nun zu seinem Auto laufen, aber da lag ich falsch. Zielstrebig steuerte Karl den Bahnsteigtunnel an, der zur S-Bahn führte. Während er zu einem der Automaten ging, Kleingeld hineinwarf, eine Karte zog und sie entwertete, plapperte er in einem fort. Stolz und auch ein wenig selbstverliebt, wie mir schien – oder er war immer noch verlegen. Er erzählte von seinem Kiez Mitte , in dem es bald mehr Cafés als Lebensmittelläden gebe, das sei einerseits schön, andererseits bringe es die Infrastruktur aus dem Gleichgewicht, und als er endlich mal eine kurze Atempause einlegte, fragte ich ihn, ob sein Auto in der Reparatur sei.
»Ich habe kein Auto. Führerschein auch nicht.«
Was für ein seltenes Exemplar Mann! Muffte nicht mit aufheulenden Motoren seine Männlichkeit unter Beweis stellen und schonte zudem die Umwelt.
Dann standen wir auf dem S-Bahnsteig zwischen Obdachlosen, Berufstätigen auf dem Heimweg und krakeelenden Jugendlichen und schwiegen uns an. Auf einmal war uns die Puste ausgegangen, einfach so. Was hatte ich hier eigentlich zu suchen? War das wirklich der richtige Weg, um meine große Liebe zu vergessen, die mich so brutal abserviert hatte? Um ein Teilchen von der Festplatte namens Leben zu löschen, das mir bis dato noch so gut wie alles bedeutet hatte?
Nur wenige Sekunden später lief die S-Bahn ein. Karl brach fast unter dem Gewicht meiner Tasche zusammen, als er sie etwas zu schwungvoll in den Waggon hieven wollte. Zum Glück fand er wenigstens seine Sprache wieder.
»Transportierst du Goldbarren?« Sein Gesicht war violettrot angelaufen.
»Gold und Edelsteine und meinen ganzen Schmuck …«
Die Menschen um uns herum schauten zu uns rüber. Langsam und genießerisch zog ich den Reißverschluß meiner Tasche auf.Karl starrte lüstern, als hätte ich gerade so etwas wie ein Korsett aufgehakt oder lasziv den Reißverschluß meines Kleides geöffnet.
»Schuhe«, stellte er äußerst scharfsinnig fest. Dann kam er so nah an mein Ohr, daß ich seinen warmen Atem spüren konnte:
»Warum in Gottes Namen hast du bloß so viele Schuhe dabei?«
»Stell dir nur mal vor, es fängt an zu regnen. Glaubst du, ich will die ganze Zeit mit nassen Füßen durch die Gegend laufen?«
»Wie wär’s mit Gummisohlen? Da tut’s ein Paar.«
»So was kommt mir nicht ins Haus«, erwiderte ich.
Karl verzog sein Gesicht zu einem schiefen Grinsen, warf dann einen Blick auf seine Schuhe. Wahrscheinlich mußte er sich erst mal vergewissern, was für Botten er denn anhatte. Ich tat es ihm
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