Lügen & Liebhaber
seine Lesebrille hinweg an. Kein Wort kam über seine Lippen. Über meine auch nicht.
Ich ließ mich einfach auf sein Gästesofa fallen, aus dessen moosgrünem Cordbezug ein modriger Geruch wie von einer Eisenbahntoilette aufstieg.
»Und?« Mein Lächeln war hoffentlich besonders smart. »War’s schön im ›Arkadasch‹?«
»Und wie.« Adriano lächelte jetzt auch.
»Tut mir leid, aber ich hab’s verschwitzt. Wegen Tannhäuser …«
»Na ja, der Krautsalat schmeckte auch so.«
Etwas ungeschickt ruckelte ich auf dem Sofa hin und her, um die beste Position zu finden.
»Und wo warst du später?«
»Wieso sollte ich darauf antworten? Wer hat hier wen versetzt?«
Eins zu null für Adriano.
»Ich muß mit dir reden«, sagte ich schnell.
»Ich auch mit dir.«
»In Ordnung. Herren first.«
Adriano sah heute gut aus. Er trug eine schmale schwarze Hose aus festem Baumwollstoff, dazu ein weißes Hemd, außerdem hatte er endlich mal seine Haare nachschneiden lassen. Plötzlich verspürte ich Lust, ihn zu küssen.
»Also?« fragte ich Adriano. Er schaute mich an wie manchmal seine Studenten, wenn sie etwas ganz besonders Idiotisches von sich gegeben hatten.
»Ich wollte es dir schon gestern sagen, aber du hast es ja vorgezogen, nicht aufzutauchen.«
»Es tut mir wirklich leid. Adriano …«
Doch er ließ mich nicht ausreden. »Besser, wir lassen es, Sylvie.« Nur die fünf Wörter, dafür aber sehr präzise artikuliert.
»Wie … Was meinst du?«
»Du weißt schon. Wir sollten es beenden. Es ist der richtige Zeitpunkt.«
Adriano stand jetzt auf, ging ans Fenster und wühlte völlig unmotiviert in einem Stapel Unterlagen. Ich biß mir auf die Unterlippe, bis ich Blut schmeckte. So eine Unverschämtheit! Wie konnte er nur! Fast fing ich an zu weinen, aber ich riß mich zusammen und fragte Adriano nach dem Grund, was jedoch nicht viel brachte. Er faselte etwas von ermüdenden Diskussionen, sowieso habe er keine Lust, sich in seiner Freizeit zu rechtfertigen, und daß ich einfach nach Madrid abgehauen sei, ohne vorher mal Bescheid zu sagen …
Adriano drehte sich jetzt um und warf mir einen Schlafzimmerblick zu, der mich wohl zum Schmelzen bringen sollte. Gegen meinen Willen stiegen Tränen auf.
»Du siehst so traurig aus«, bemerkte er überaus treffend.
»Gar nicht«, brachte ich tränenerstickt hervor, und um überhaupt irgend etwas anderes zu tun, als zu heulen, erhob ich mich aus dem Cordsofa, machte einen Schritt auf ihn zu und holte mit der rechten Hand aus. Adriano reagierte sofort, indem er meinen Arm abfing, mich zu sich auf den Sessel zog und seine Lippen auf meinen Mund preßte. Er nestelte bereits an seinem Reißverschluß – sein Stöhnen war rauh und durch Hustenreiz unterbrochen an meinem Ohr –, als ich es endlich schaffte, mich loszureißen. Diesmal landete die Ohrfeige treffsicher auf seiner Wange.
Schon zwei, drei Sekunden später hatte Adriano sich wieder im Griff. »Was wolltest du eigentlich mit mir besprechen?« fragteer verschlagen lächelnd. Ich war rückwärts getaumelt und stand wie benommen neben seinem Stinkesofa.
»Ach nichts«, murmelte ich, während mein Sprachzentrum Sätze wie Du bist ein Schwein. Und warum warst du nicht zu Hause? Gib’s zu, du hast mich schon lange über! abspulte.
»Na, dann.« Adriano begann sich nervös am Kopf zu kratzen.
»Vielleicht läßt du dich im nächsten Leben auf ein – sagen wir – orgiastisches Finale ein.«
Ich stand immer noch wie angewurzelt an meinem Platz und kämpfte mit dem Tränenkloß in meiner Kehle. Einen winzigen Moment lang sah Adriano mich geradezu zärtlich an. »Liebes – hab ich dir je versprochen, dich zu heiraten?«
Nein, das hatte er in der Tat nicht.
Adriano ging zu seinem Schreibtisch, wo er jetzt im Gegensatz zu vorhin zielgerichtet in seinen Unterlagen herumwühlte.
»Man sieht sich?« Er winkte albern. Der Mann wußte doch gar nicht wohin mit seinem schlechten Gewissen.
»Man sieht sich«, erwiderte ich mit erstickter Stimme, als die Tür aufging und ein etwas pummeliges Geschöpf mit einer Mireille-Matthieu-Frisur hereinkam. Adriano zuckte zusammen, gleichzeitig sagte die Frau »Oh« in meine Richtung und dann an Adriano adressiert: »Tut mir leid, ich …«
»Schon in Ordnung.« Adriano sah aus wie versteinert. »Wir sind gerade fertig.«
Gerade fertig war wohl so etwas wie ein Zauberwort, denn augenblicklich marschierte die Pummelige auf Adriano zu und schmiegte sich ganz selbstverständlich an
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