Lügen & Liebhaber
als wir zum Essen ausgehen wollten, wurde die Situation unfreiwillig prekär: Ich stand schon auf dem Flur und wollte gerade nach meiner Strickjacke greifen, als Karl mir zuvorkam und das Teil wie einen Putzlappen von der Garderobe riß, um mir hineinzuhelfen. Da ich mich im selben Moment umdrehte, standen wir uns plötzlich frontal gegenüber und umarmten uns. Verflucht – Karl hatte eine Erektion. Das war nun wirklich das letzte, worauf ich Lust hatte – einen guten Freund mit Ständer.
Geistesgegenwärtig wand ich mich aus seinen Armen, faselte etwas von seiner Rauhfasertapete, die seiner Wohnung einen Touch Spießigkeit verleihe, und stolperte zur Tür. Karl kam mir nach, er hatte wieder mal eine ungesunde Röte im Gesicht, doch das ignorierte ich geflissentlich.
»Wohin gehen wir essen?« fragte ich.
»In eine kleine Trattoria. Zu Fuß erreichbar.«
»Gute Küche?« Manchmal war ich wirklich Meisterin im Dumme-Fragen-Stellen.
»Hervorragend. Mit einer Italienerin als Köchin. Sie kocht so gut, daß man heulen möchte vor Glück.«
Hoffentlich würde Karl das nicht tun. Ein guter Freund mit Ständer und dann noch nahe am Wasser gebaut – das war wirklich zuviel des Guten.
Eine Viertelstunde später saßen wir uns dann im »Donath« an einem einfachen Holztisch gegenüber; ab und zu betrachtete ich den Lüster an der Decke.
Wir bestellten Antipasti, die laut Karl ganz ausgezeichnet waren; als Hauptgericht nahm ich Farfalle mit getrockneten Tomaten und Ricotta, Karl orderte einen Fisch, von dessen Existenz ich bisher nicht mal etwas gewußt hatte.
»Wie bist du auf den Laden gekommen?« fragte ich Karl. Immerhin saßen hier hauptsächlich Erstsemestler, die seine Nichten und Neffen hätten sein können.
»Zufall. Es war das erste Lokal, das ich nach meinem Umzug angesteuert habe.«
Karl lächelte dem jungen Italiener zu, der uns gerade die Getränke hinstellte und in seinem mit Hieroglyphen bedruckten T-Shirt völlig unitalienisch aussah.
»Wieso Umzug? Wo hast du vorher gewohnt?«
»Wilmersdorf. Aber der Osten hat viel mehr zu bieten. Hier gehen die Veränderungen unglaublich rasant vor sich. Überall wimmelt es von jungen, kreativen Leuten …«
Wir tranken einen Schluck Rotwein, dann fragte ich Karl, ob die jungen, kreativen Leute der einzige Grund für seinen Umzug gewesen seien.
Karl deutete ein Kopfschütteln an. »Eine Trennung«, murmelte er schließlich und verstummte sogleich wieder. Mit ernster Miene schaute er in sein Glas.
»Von wem?«
»Von der einzigen Frau, mit der ich es länger als vier Jahre ausgehalten habe.« In meinen Ohren klang das wie: von der einzigen Frau, die ich je geliebt habe.
»Du hast dich also von ihr getrennt?« fragte ich, obwohl ich schon ahnte, daß das Gegenteil der Fall gewesen sein mußte.
Tatsächlich verneinte Karl.
»Was ist passiert?«
Karl schwieg lange, der Kellner brachte inzwischen die Antipasti.
»Sie wollte einfach nicht mehr«, sagte Karl schließlich und schob sich eine fingerdicke Scheibe Gurke mit einem Klacks Kräuterfrischkäse in den Mund.
Das war fast so etwas wie eine klare Aussage.
»Was wollte sie nicht mehr?«
»Einen Mann, der ihr die Welt zu Füßen legt, der für sie kocht und putzt und ihr jeden Wunsch von den Augen abliest. Einen, der sie machen läßt, einen Softie von mir aus …«
Karl holte tief Luft. Einen Moment lang glaubte ich, er wolle noch etwas hinzufügen, aber ich hatte mich geirrt.
Ich mußte seine kleine Ansprache erst mal verdauen, und das tat ich am besten, indem ich aß. Die Paprika schmeckten köstlich, außerdem gab es eingelegte Champignons, hauchdünne Scheiben gebratener Aubergine in Tomatensauce und mit Parmesan bestreut, Muscheln, Pulpo und ein paar Scheiben Salami – ein kleiner Trost in Zeiten von Liebeskummer.
»Du glaubst also, der weibliche Teil der Welt will wieder Machos.«
»Klar.«
»Spinner.«
»Willst du vielleicht ein Weichei?« Karl schnaubte. »Sylvie, du brauchst mir nichts vorzumachen. Ich weiß schon, was du wirklich über mich denkst.«
Ich fand, das war jetzt wirklich eine Unverschämtheit, also sagte ich es Karl, und dann fügte ich noch hinzu, ein Mann, der sich einfach zu einer Frau ins Bett legte und sich quasi nahm, was er wollte, sei mitnichten ein Weichei.
»Das ist normalerweise auch nicht meine Art«, meinte Karl.
Darauf erwiderte ich nichts. Es konnte seine Masche sein, woher sollte ich das wissen?
»Und du?« fragte Karl. Er hatte die Angewohnheit, nach
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