Lügen & Liebhaber
Gewissen. Es war mir nicht besonders schwergefallen, Gott und die Welt zu beklauen, aber daß meine Ma mir zur Belohnung10 000 Mark spendierte, war selbst für mich starker Tobak. Obwohl ich mich natürlich auch freute. Auf einen Schlag war ich all meine Schulden los und hatte darüber hinaus erst mal genug Geld, um eine Weile über die Runden zu kommen.
»Mama? Geht’s dir gut?« Keine Ahnung, wieso ich auf einmal so sentimental wurde.
»Ja! Sehr gut sogar! Eigentlich wollte ich es dir noch gar nicht verraten. Aber Helmut und ich werden voraussichtlich heiraten.«
Helmut, genau. Jetzt fiel mir auch der Nachname ein: Kichermann.
»Na toll«, sagte ich und brach in Tränen aus.
»Sylvie?« Meine Mutter klang sehr besorgt. »Was ist los?«
»Nichts.« Ich schneuzte mich und riß mich zusammen. »Ich finde es nur so … großartig. Ja, wirklich.«
Meine Mutter verstand das als Aufforderung, sich genüßlich über die Planung auszulassen. Die Hochzeit war für Ende Dezember – vielleicht sogar für den 31. – geplant. Ein paar Verwandte würde man einladen, dazu viele Freunde, Empfang in der Hamburger Kunsthalle mit anschließendem Imbiß, abends ein Essen in einem Fischrestaurant in Finkenwerder.
Es war fabelhaft, ganz und gar fabelhaft. Hauptsache, Mutter würde nicht auf die Idee kommen, meinen Vater und seine Sippschaft hinzuzubitten.
Genau vierundzwanzig Stunden später stand ich dann auf Karls Dachterrasse und schaute in den wolkenverhangenen Himmel. Es war schwül und so feucht, daß sich meine Haare in Wellen legten.
Karl hatte eine Flasche Sekt geöffnet und reichte mir mein Glas. Irgendwie kam es mir vor, als habe er abgenommen. Zumindest sah er nicht mehr so gemütlich aus. Wir stießen an, und sobald Karl einen Schluck getrunken hatte, griff er nach meiner Hand und hielt sie einfach fest. Eine warme Welle katapultierte sich in Lichtgeschwindigkeit einmal quer durch meinen Körper. Das brachte nur Karl fertig. Mich so zu rühren, daß ich ihn auf der Stelle geheiratet hätte.
»Was ist eigentlich mit meiner Überraschung?« fragte ich.
»Nicht so ungeduldig!« Karl drückte mir einen Kuß auf den Nacken und sagte mir, ich würde ganz wundervoll riechen.
Ich gab das Kompliment zurück und fragte Karl, was er davon halte, wenn ich ihn in der Zwischenzeit überraschen würde.
»Gute Idee.«
»Okay. Ich kann dir das Geld zurückzahlen. Du mußt mir nur deine Kontonummer geben.«
Karl hörte schlagartig auf zu lächeln.
»Was ist los? Ich denke, du freust dich!«
»Hör mal, Sylvie. Das hätte doch Zeit gehabt.«
Großartig. Ich riß mir seinetwegen den Arsch auf, und nun spielte er den Generösen.
»Du kannst mich mal«, sagte ich und stellte das Glas mit einem Knall auf dem Steinfußboden ab.
Ein paar Tropfen fielen auf die Terrasse. Ohne Karl eines Blickes zu würdigen, ging ich rein, stand dann aber nur unbeholfen im Wohnzimmer herum. Obwohl ich schon so oft hier gewesen war, fühlte ich mich fremd. Wo war mein Bett, auf das ich mich hätte werfen können, um zu greinen? Mein Kühlschrank, aus dem ich mich hemmungslos hätte vollfressen können? Nein, es gab hier keinen Platz für mich. Trotz Gästezimmer und frischer Bettwäsche. Dies war Karls Reich, und ich hatte hier nichts verloren.
Nur ein paar Sekunden zögerte ich, dann griff ich schon nach meiner ungeöffneten Tasche und schleppte sie zur Tür. Wohl wissend, daß es in Berlin phantastische Schuhläden gab, hatte ich nur zwei Paar Schuhe eingepackt.
»Sylvie!« Karl kam mit erhitztem Gesicht angelaufen und riß mir die Tasche aus der Hand.
»Wenn du glaubst, du kannst bei mir den Chef spielen, hast du dich geschnitten!«
»Wovon redest du bloß?«
»Erst willst du unbedingt dein Geld zurück, ich ackere und schufte mich ab, und dann war alles doch nicht so dringend! Verarschung total, was?«
Ohne zu antworten, trug Karl die Tasche ins Gästezimmer. Ich ging ihm nach und lugte in den Raum, den Karl mit einem großen Strauß bunter Tulpen dekoriert hatte. Ein Geruch von Putzmitteln lag in der Luft.
»Es war dumm von mir. Entschuldige …« Karl rieb sich wie ein Kleinkind die Augen. Fast bekam ich schon wieder Mitleid mit ihm. »Du bleibst doch?«
Ich nickte spontan. Natürlich wäre es ziemlich albern gewesen, gleich wieder zu fahren. Zumal mich die Fahrkarte einen ganzen Batzen Geld gekostet hatte.
Den Abend verbrachten wir dann wieder versöhnt vor dem Fernseher und verdrückten Pizza vom Lieferservice. Karl erzählte
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