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Lügen & Liebhaber

Lügen & Liebhaber

Titel: Lügen & Liebhaber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Fülscher
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eingelegten Hering so gut wie alles mitgehen und dehnte meine Streifzüge nach ein paar Tagen auch auf andere Läden aus. Einmal klaute ich sogar ein grau-braun gestreiftes Dries-Van-Noten-Hemd bei Oskar und schickte es Skip per Post. Natürlich hätte Karl auch eins verdient, aber solange ich meine Schulden noch nicht bei ihm abgetragen hatte, war ein derartiges Geschenk eher verräterisch.
    Eines Tages dachte ich mir, was mit Lebensmitteln funktioniert, dürfte auch bei Schuhen kein Problem sein. Die melierte Perücke war dafür wie geschaffen. So ging ich zu Stoßzeiten möglichst unauffällig zurechtgemacht in ein größeres Schuhgeschäft oder in die Schuhabteilung eines Kaufhauses und ließ mir zu mehreren Modellen den zweiten Schuh bringen. Ich probiertehin und her, in dem Paar, das mir am besten gefiel, lief ich ein bißchen auf und ab, und in einem Moment, in dem die Verkäuferin anderweitig beschäftigt war, spazierte ich einfach aus dem Laden. Ein Kinderspiel. Und während ich, glücklich über meine neue Errungenschaft, in die nächste U-Bahn stieg, standen meine alten, schon längst ausrangierten Gurken im Schuhgeschäft herum. Sie waren Beweismaterial, klar, aber wer wollte mir den Nachweis erbringen, daß die Schuhe mal mir gehört hatten?
    Ich erzählte niemandem davon. Nicht mal Toni. Sie hätte mir nur einen moralischen Vortrag gehalten und mir die Was-wenn-du-geschnappt-wirst-Frage gestellt. Natürlich wurde ich nicht erwischt. Es durfte einfach nicht passieren. Und weil ich mir so vollkommen sicher war, daß es tatsächlich nicht geschehen würde, brauchte ich mir auch keine Sorgen über Kaufhausdetektive oder ähnliches zu machen.
    Mein Leben lief also wieder in geordneten Bahnen, und es gab Tage, an denen ich dachte, wow! es geht dir richtig gut. Vielleicht hing es damit zusammen, daß ich mir in einer meiner depressiven Nächte vorgenommen hatte, nicht nur immer den anderen die dicken Tortenstücke des Lebens zu überlassen, sondern selbst ordentlich zuzulangen. Ein bißchen klauen, die Männer dirigieren, und siehe da, die Rechnung ging auf. Meine drei Jungs umschwirrten mich wie Motten das Licht, ich mußte mein Schuhregal erweitern, und selbst Toni stand mir trotz nervenzehrendem IVF-Programm jederzeit mit Rat und Tat zur Seite.
    Nur eine Frage war nach wie vor ungelöst. Was sollte bloß beruflich aus mir werden? Etliche Monate waren seit meinem Studienabschluß ins Land gegangen, und ich hatte immer noch keine Eingebung. Ich war nichts, ich konnte nichts, mir fehlte einfach die große Leidenschaft. Skip ging in seinem Journalismus auf, Oskar in seinen Designerklamotten, selbst Karl gefiel sich darin, den ganzen Tag über auf den Zehenspitzen stehend zu stöhnen. Und dann Toni. Zwar war die Garderobe nicht gerade ihr Lebenselixier, aber mit welcher Vehemenz sie sich ein Kind wünschte – zum Neidischwerden.
    Und wenn ich doch promovierte? Ein Assijob an der Uni in Tübingen, dazu ein schon angedachtes Promotionsthema, das ich nur mit einigem Fleiß aufzuarbeiten brauchte – eine klare Sache, und die nächsten drei, vier Jahre wären verplant. Meine Mutter zufrieden, mein Vater auch, aber was kam danach? Nein, ich würde ihm den Gefallen nicht tun, und wozu sollte ich die Berufsentscheidung ein paar Jahre aufschieben? Früher oder später würde mich die Qual der Wahl sowieso wieder einholen.
    *
    Einen Tag vor meiner Abfahrt nach Berlin rief meine Mutter an. Ihre Tinte aus Südafrika sei gestorben und habe ihr 30 000 Mark vermacht.
    »Welche Tante?« fragte ich und biß von meinem Toast ab.
    »Eleonore. Weißt du? Rudolfs Schwester.«
    Statt zu antworten, biß ich ein zweites Mal in meinen Toast. Ich kannte keinen Rudolf. Und das war auch kein Wunder. Unsere Verwandtschaft hatte sich nämlich über den ganzen Erdball verteilt und hielt insgesamt nicht viel von familiären Banden. Wer weiß – vielleicht standen noch mehr so nette Erbschaften ins Haus.
    »10 000 für deinen Bruder. 10 000 für mich. Und 10 000 für dich.«
    »Quatsch, Mama. Ich brauche das Geld nicht! Mach dir lieber mit deinem …«, ich räusperte mich, weil ich doch glatt den Namen ihres neuen Lebensgefährten vergessen hatte, »… eine schöne Zeit.«
    »Das werde ich auch tun. Als erstes steht eine Reise nach Irland auf dem Programm. 10 000 sollten wohl reichen.« Meine Mutter lachte. »Es gibt keine Diskussion. Der Scheck ist schon in der Post.«
    Ich bedankte mich artig, hatte jedoch auf einmal ein schlechtes

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