Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)
erlebte Beispiel aus dem Jahr 2007 haben wir schon auf Seite 36 angerissen. Die Offenheit des »Täters« verblüfft mich heute immer noch. Eine Woche vor Weihnachten wollte uns ein Herr Doktor vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in einem Vortrag noch einmal kräftig schocken. Die Grafik, die er an die Wand projizierte, »bewies« anschaulich, wie der Rückgang der Jugendlichen nachfolgend unser Arbeitskräftepotenzial bedenklich schmälert und die Alterung der Gesellschaft vorantreibt.
Es folgt unser Nachbau, den Sie schon aus dem Kapitel »Ein Bild lügt schneller als tausend Zahlen« kennen.
Das angebliche Aussterben der Jugend in Deutschland bis 2050
Die Botschaft besagten Doktors war klar: Es wird dramatisch.
Doch er hatte nicht nur, wie schon gezeigt, an der y-Achse manipuliert, sondern mit der absoluten Zahl auch einen falschen Indikator für das angegeben, worauf es ihm ankam: die Auswirkung auf das Arbeitskräftepotenzial der Gesellschaft. Eine halb so große Bevölkerung braucht auch nur halb so viele Arbeitskräfte. Deshalb ist nicht die absolute Anzahl, sondern der (relative) Anteil der Jugendlichen an der Bevölkerung hier die ausschlaggebende Größe (siehe Grafik rechts)!
Als ich den »neutralen« Referenten in der Kaffeepause auf seine Grafik ansprach – leckere Weihnachtsplätzchen hatten meinen Ärger inzwischen stark abgemildert –, blieben mir die Krümel fast im Hals stecken. Der Herr Doktor meinte lächelnd: »Ja, Sie haben in beidem recht. So hatte ich es auch
zu erst gezeichnet, aber das sah ja gar nicht dramatisch aus.« Ich war zu perplex, um sauer zu werden.
Unsere statistisch sauberere Version der Bevölkerungsprognose mit Prozentangaben und vollständiger y-Achse
Haben Sie es auch schon bemerkt? Dieses Beispiel hat noch eine unerwähnte Yin-Seite, wie wir das im Kapitel »Yang ohne Yin« genannt haben. Schauen wir doch nicht nur in die Zukunft, sondern auch einmal in die Vergangenheit! Das haben wir in der Grafik auf Seite 80 getan.
Die demografische Revolution steht also nicht vor uns, sondern wir haben sie in den letzten gut hundert Jahren bereits bewältigt, ohne dass uns die Arbeitskräfte ausgegangen wären und ohne den viel beschworenen Krieg der Generationen. Dafür aber mit enormem wirtschaftlichen Wachstum bei gleichzeitiger Verkürzung der Arbeitszeit und massivem Ausbau des Sozialstaates.
Datenquelle: Bundesinstitut für Bevölkerungswissenschaften Modellrechnung: 12. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Statistisches Bundesamt, Mittelwert der beiden Hauptvarianten
Der Anteil der Jugendlichen nahm vor allem in der Vergangenheit ab. Was uns bis 2050 noch bevorsteht, ist vergleichsweise harmlos.
Während die Zahl der Jugendlichen, wie man uns weismachen will, drastisch abnimmt, nehmen die Sozialausgaben des Staates, so scheint es, rasend schnell zu. Auch hier zeigt man uns wie in der Grafik rechts meist die Kurve mit den absoluten Zahlen, und die ist in der Tat in den letzten Jahren stetig gewachsen – von ca. 420 Milliarden Euro im Jahr 1991 bis auf gut 720 Milliarden Euro im Jahr 2008.
Meist wird in der Darstellung auch noch nach bekannter Methode die y-Achse gekürzt, um die »Bergflanke« der Sozialausgaben so steil wie möglich erscheinen zu lassen. Die Botschaft ist klar: Der »Wildwuchs« muss beschnitten, dem »Missbrauch« muss dringend Einhalt geboten werden, die sozialen Leistungen müssen unbedingt auf diejenigen beschränkt werden, »die sie wirklich brauchen«. »Treffsicherheit« nannte das der österreichische
Rechtspopulist Jörg Haider. Und leider hat dessen Wortwahl einen Erben, den FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle. 9
Sozialausgaben (Angaben in Milliarden Euro)
Datenquelle: BMA Sozialbericht 2009, S. 254
Diese Grafik zeigt dramatisierend die Entwicklung der absoluten Sozialausgaben.
Dabei teilen die Sozialausgaben nur das Schicksal fast aller absoluten Ausgaben. Auch die Urlaubsausgaben der Deutschen steigen, in absoluten Zahlen angegeben, fast jedes Jahr an; ebenso die Nebenkosten für Miete und Hauseigentum, die Gehälter der Staatssekretäre oder die durchschnittlichen Gewinne der dreißig DAX-Unternehmen. Richtig wäre hier wieder die relative Betrachtung, also: Wie viel Prozent unseres Wohlstands – meist gemessen als Bruttoinlandsprodukt (BIP) – entfallen auf staatliche Sozialausgaben? Das haben wir in der Grafik auf Seite 82 dargestellt.
Datenquelle: BMA Sozialbericht 2009, S. 254
Der Anteil der
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