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Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)

Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)

Titel: Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Bosbach , Jens Jürgen Korff
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dass wir eine vermeintliche Gewebestruktur abzeichneten, die in Wirklichkeit bloß ein Artefakt war, eine beim Präparieren entstandene Zerstörung. Hier mischt sich ein Teilnehmer der Internetdiskussion ein.
    WERNER Die Problematik liegt meines Erachtens darin, wie wir auswählen, was wir überhaupt messen und was wir unterschlagen. Hier fließen jede Menge Wertvorstellungen, Denkgewohnheiten und Traditionen ein, die teilweise kulturbedingt sind und daher von niemandem in unserer Gesellschaft hinterfragt werden. So manipulieren wir uns unbewusst und ungewollt selbst.
    JENS Oh, ich kenne durchaus Leute, die berufsmäßig genau solche Wertvorstellungen, Denkgewohnheiten und Traditionen hinterfragen. Das sind zum Beispiel Historiker, Soziologinnen, Politologen, Literaturwissenschaftlerinnen. Ach, wie weit könnten wir sein, wenn Ingenieure und Historiker einander zuhörten! Doch als ein Kulturhistoriker 2006 die Frechheit besaß, die Entwicklung einer modernen physikalischen Theorie vor dem Hintergrund des Weltbilds der beteiligten Physiker zu untersuchen, sagte eines der Untersuchungsobjekte sinngemäß dazu:
    PHYSIKER Das ist nun einmal keine Wissenschaft, wie wir sie verstehen.
    JENS Und der Anglist Dietrich Schwanitz stellte 1999 einen Katalog all dessen zusammen, was ein gebildeter Mensch wissen muss. Darin gab es auch ein Kapitel: »Was man nicht wissen sollte«.
    SCHWANITZ Die naturwissenschaftlichen Kenntnisse werden zwar in der Schule gelehrt; sie tragen auch einiges zum Verständnis der Natur, aber wenig zum Verständnis der Kultur bei. Deshalb gilt man nach wie vor als unmöglich, wenn man nicht weiß, wer Rembrandt war. Wenn man aber keinen Schimmer hat, worum es im zweiten thermodynamischen Hauptsatz geht … dann wird niemand daraus auf mangelnde Bildung schließen. 3

    JENS So weit der Blick in die Schützengräben zwischen Geistesund Naturwissenschaften, den unsäglichen Kampf der zwei Kulturen. 4 Frank — wie geht denn die Philosophie damit um, dass die Physik in den Zeiten der Teilchenbeschleuniger und der Chaostheorie deutlich an Schärfe und geordneter Harmonie eingebüßt hat?
    FRANK Das Ideal, dass alles mathematisch berechenbar sei, wird immer wieder durch neuere Erkenntnisse der Mathematik
und Physik zerstört. Jahrhundertelang galt das Atom als kleinstes Teil, als unteilbar, und nun haben wir es auf einmal gespalten und kennen noch kleinere Teile. Jahrhundertelang orientierten wir uns an Körpern, deren Ort im Raum wir zum Zeitpunkt X messen und angeben konnten. Jetzt müssen wir mit Elektronen und anderen Teilchen leben, von denen wir nach Heisenberg nicht sagen können, wann sie sich wo befinden.
    So ist es auch in der Philosophie: Alte Erkenntnisse werden entweder durch neuere ersetzt oder bestätigt, manchmal auch nur weitergeführt. Das Zahlensystem von Pythagoras wurde immerhin durch physikalische Erkenntnisse Jahrhunderte später bestätigt. Menschen suchen nach Bestätigung ihrer Denkweise und greifen zu Begriffen, die unscharf sind. Darum hat die Mathematik als scharf abgrenzende Wissenschaft einen so großen Einfluss gehabt.
    In den Naturwissenschaften gilt eine Theorie so lange als unbewiesen, aber grundsätzlich wahr, bis ein Gegenbeweis gefunden wurde. Diejenigen, die Zahlen als so wichtig erachten, vergessen oft die anderen Bereiche des Wissens, die zahlenmäßig nicht fassbar sind. Auch eine mathematische Theorie gilt nur so lange, wie man nicht auf logische Widersprüche stößt. Ob alles so ist, wie es uns erscheint, kann ohnehin angezweifelt werden.
    GERD Mathematische Theorien können als in sich geschlossene Systeme sogar für immer gelten. Sie erklären dann vielleicht immer weniger, aber auf einem kleinen Gebiet gelten sie immer weiter.

    JENS Zeigt sich an dieser Stelle nicht, dass der Geist vieler Menschen anscheinend nicht reif genug ist, um sich im Ungefähren, in unscharfen und unsicheren Verhältnissen einrichten und orientieren
zu können? Kann es sein, dass wir diese Fähigkeit erst noch erlernen müssen? An dieser Stelle schließt sich der Bogen zu Pythagoras’ Zahlenharmonie: die Mathematik als eine Art verlorenes Paradies der Ordnung, zu dem wir ständig zurückstreben.
    Der britische Historiker Quentin Skinner, der im Januar 2009 den Bielefelder Wissenschaftspreis erhielt, antwortete bei der Gelegenheit fast auf diese Frage.
    SKINNER Für Thomas Hobbes 5 zählt in der Rechtfertigung von Staat, Gesetz und Politik nur die Kraft des auf Vernunft gegründeten,

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