Luegenherz
an, bestelle mir ein Taxi und lasse mich zu Jurys Wohnung nach Schwabing fahren. Dort angekommen, springe ich aus dem Auto und klingle Sturm.
Nichts. Die Fenster zur Straße sind auch dunkel. Was hat Mila mit ihm gemacht? Liegt er vielleicht schon tot in der Wohnung? Oder hat sie ihn irgendwohin entführt? Ich muss in seine Wohnung, und zwar sofort. Leider habe ich keinen Schlüssel, aber der Hausmeister hat einen. Wenn ich nur wüsste, wie der heißt. Egal, ich klingle einfach bei allen, die im Haus wohnen. Es ist mir auch egal, dass es schon so spät ist.
Drei Minuten später steht ein kleiner Mann mit einem freundlich wirkenden Retriever vor mir, der behauptet, er wäre der Hausmeister, und wenn ich nicht sofort aufhören würde, so einen Rabatz zu machen, dann würde er die Polizei rufen. »Gut!«, brülle ich ziemlich ungehalten, »nur her mit der Polizei!«
Der Mann stutzt, dann sieht er mich genauer an. »Du bist doch die Tochter von den Müllerhans’.« Ich sehe im Licht der Hauslaterne, wie es in seinem Hirn rattert. Mutter Staranwältin …
Und auch bei mir fängt es endlich an zu arbeiten. Das war ja eine tolle Idee, alle in diesem Luxusschuppen wach zu klingeln. Hat eigentlich mein Gehirn in letzter Zeit aufgehört, richtig zu funktionieren?
Ich lächle den Hausmeister entschuldigend an, aber der wirft mir nur einen finsteren Blick zu. »Bevor ich die Polizei rufe, hole ich lieber eure Eltern«, sagt er dann.
Oh Gott. Gedanken rasen durch meinen Kopf. Ich stelle mir vor, wie Mama hier aufkreuzt und ein Riesentheater veranstaltet – Jury würde mich für immer dafür hassen. Vor allem dann, wenn Mila nur ein rachsüchtiges Spiel mit mir spielt und sie Jury gar nichts antun will.
Ich fühle mich wie ein Ball, der immer wieder an die Wand geschmettert wird, vollkommen verworren im Hirn, weil er nur noch hin und her springt. Dabei war ich in meinem Leben bisher doch immer diejenige, die die Bälle wirft.
Und da fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Ich muss aufhören, auf Mila immer nur zu reagieren. Ich brauche einen Plan, bei dem ich die Schachzüge bestimmen kann. Nur so kann ich sie stoppen.
30. Ally
Nachdem ich wieder zu Hause war, habe ich über einem Plan gebrütet und immer wieder ergebnislos versucht, Jury anzurufen. Dann hat kurz nach Mitternacht das Telefon geklingelt – es war Tom!
Ich war so erleichtert, dass ich endlich mit jemanden über diesen ganzen Irrsinn sprechen konnte. Nachdem wir uns über Mila ausgetauscht haben, waren wir uns einig, dass wir aktiv werden müssen, um sie zu stoppen. Nach dem Telefonat war dann an Schlaf gar nicht mehr zu denken.
Es dämmert schon, als Tom endlich bei mir läutet. Ich lasse ihn rein und biete ihm einen Kaffee an. Er hat auch Ringe unter den Augen, die fast so schwarz wie seine Pupillen sind.
»Und du bist sicher, dass du das riskieren willst?«, frage ich ihn.
Er nickt bedächtig und streicht mit dem gesunden Arm seine schwarzen Locken hinter die Ohren. Er wirkt kompakt und muskulös und geht mir nur bis zum Kinn.
»Aber dein Führerschein ist weg, wenn du mit dem Gipsbein und der Armschiene am Steuer einen Unfall verursachst.«
»Was sollen wir denn sonst machen? Selbst wenn wir jetzt zur Polizei gehen, würden die ganz bestimmt nicht so schnell aktiv werden. Das geht schon, ich hab eine Automatikschaltung und meine Verletzungen sind auf der linken Seite.«
»Und wenn wir uns nur in etwas reingesteigert haben?«, gebe ich zu bedenken, weil es mir jetzt auf einmal ungeheuerlich vorkommt zu glauben, dass Mila so weit gehen und jemandem den Tod wünschen könnte.
Tom schüttelt den Kopf. »Und meine Verletzungen, was ist mit denen? Sie tickt gerade vollkommen aus. Wer nicht für sie ist, ist gegen sie. Sie hat mich von dem Hochsitz gestoßen und in Kauf genommen, dass ich mir das Genick breche. Und wir haben uns mal geliebt!«
»Können wir nicht einfach die Höhlenrettung rufen und hierbleiben?«
Tom schüttelt wieder den Kopf. »Erstens wissen wir nicht sicher, wohin sie gehen werden, und zweitens wissen wir ja auch nicht, was genau passieren wird. Wir sollten die Rettung nicht nur auf Verdacht rufen, das kann teuer werden. Nein, wir folgen ihnen, checken die Geodaten der Höhle und dann rufen wir die Höhlenrettung. Eine bessere Idee habe ich nicht.«
»Ich bin sicher, die beiden gehen in dieselbe Höhle, wo er auch mit mir war. Das hat Landgraf mir jedenfalls gesagt.« Und noch während ich das behaupte, spüre ich, wie ich
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