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Luegenherz

Luegenherz

Titel: Luegenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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unsicher werde. Er hatte mir auch angekündigt, wir würden zur Angerlochhöhle fahren, und dann waren wir doch woanders.
    »Okay.« Tom kippt den letzten Schluck Kaffee in den Ausguss und spült die leere Tasse mit der gesunden Hand unter laufendem Wasser ab. »Hast du vielleicht die Geodaten der Höhle?«
    »Natürlich nicht!«
    »Und ich hab sie auch nicht, und wenn wir der Bergrettung sagen, irgendwo im Untersberg sind Höhlenkletterer in Bergnot, dann können die wirklich nichts machen, weil es dort so viele Höhlen gibt. Also los, vielleicht sind wir längst zu spät und haben sie schon verpasst.«
    Ich nehme meinen Rucksack, den ich nach seinen Anweisungen schon gepackt habe, und begleite Tom zu seinem Auto, das vollgestopft ist mit seiner Kletterausrüstung.
    »Wozu brauchen wir das alles? Du kannst in deinem Zustand doch gar nicht klettern.«
    »Ich nicht, aber du.«
    Ich in diese Höhle? Niemals! Mir bricht der Schweiß aus allen Poren und mein Herz rast und hämmert plötzlich wie verrückt, dabei sitze ich doch im Auto und bin noch gar nicht dort. Meine Kehle ist wie zugeschnürt.
    »Was ist mir dir, ist dir schlecht? Du bist plötzlich so bleich.«
    Tom fährt sehr langsam und bedächtig, was ja bestimmt auch richtig ist angesichts von Gipsarm und Gipsbein, aber es macht mich gerade wahnsinnig.
    »Ich …« Ich muss mich ein paarmal räuspern, weil mein Mund vollkommen ausgetrocknet ist. »Ich hab Panik vor engen Räumen.«
    »Oh.« Er wirft mir einen kurzen Blick zu. »Dabei wirkst du gar nicht hysterisch.«
    Ich spare mir eine zickige Antwort, schließlich brauche ich seine Hilfe. Wir fahren zu Jurys Garage, dort warten wir, dass sein silberner Audi TT herausfährt. Keiner sagt ein Wort. Ich bin damit beschäftigt, meinen Körper zu beruhigen, ihm zu erklären, dass ich noch in keiner Höhle bin, sondern nur in einem Auto, aus dem ich jederzeit aussteigen kann.
    »Panikattacken, das kenne ich«, sagt Tom, nachdem wir lange schweigend dagesessen haben.
    »Echt?«, kann ich es mir nicht verkneifen, »dabei siehst du gar nicht hysterisch aus.«
    »Das hab ich als Kompliment gemeint. Tut mir leid, wenn du das in den falschen Hals gekriegt hast.« Tom grinst mich an. Und obwohl ich ihn eigentlich gar nicht kenne und die Situation gerade reichlich absurd ist, tut sein Lächeln richtig gut.
    »Also, jetzt mal von Hysteriker zu Hysteriker«, versucht Tom, die angespannte Stimmung aufzulockern, »ich hab eine Schlangen- und Spinnenphobie. Davon wusste ich aber nichts, bis ich meinen Zivildienst in Nigeria angefangen habe. Ich meine, ich mochte diese Viecher noch nie, aber dass es so schlimm war, hab ich erst dort begriffen. Also, eines Tages stand ich da Auge in Auge mit einer armdicken Schlange. Sie lag auf meinem Bett. Das war vielleicht scheußlich.« Er schüttelt sich so heftig, als ob es gerade erst gestern gewesen wäre.
    Wenn wir nicht wegen Mila und Jury hier wären, dann hätte ich ihn gern gefragt, was ihn nach Nigeria verschlagen hat, aber ich bin viel zu sehr von dem Gedanken besessen, was geschehen wird, wenn ich allen Ernstes noch mal in diese Höhle steigen muss. »Und was ist dann passiert?«
    Tom grinst mich wieder an. »Ich war mir sicher, dass ich einen Herzinfarkt bekommen und gleich sterben würde. Meine Beine waren wie gelähmt und mein Herz fühlte sich an wie eine Trommel auf Ecstasy. Zum Glück hat mein Mitbewohner das alles mitbekommen und mich nach draußen gebracht, weg von der Schlange. Und danach hatte ich ein langes Gespräch mit dem Medizinmann des Dorfes.«
    »Du nimmst mich auf den Arm.«
    Er schüttelt den Kopf. »Nein, also der Medizinmann war nicht so, wie man das aus billigen Hollywoodfilmen kennt. Er hatte keine Ketten mit Totenköpfen oder Knochen umhängen. Stattdessen trug er einen schwarzen Anzug.« Jetzt lächelt er mich wieder an. »Allerdings war er darunter nackt bis auf ein silbernes Jesuskreuz und weißt du, was er mir gesagt hat?«
    »Nein, jetzt erzähl schon.«
    »Er sagte: Es ist immer gut, wenn der Mensch Angst hat. Angst ist eine gute Kraft und bringt deinen Körper dazu, vor dem Säbelzahntiger zu fliehen, wenn du ihn nicht erlegen kannst. Aber wenn dein Körper nur glaubt, es wäre ein Säbelzahntiger, dann warte, bis dein Geist verstanden hat, dass es nichts als ein Trugbild ist, und du wirst sehen, nach einiger Zeit beruhigt sich dein Körper und wird wie gereinigt wieder auf die Jagd gehen können.«
    »Und hat dir das etwas genutzt?«
    »Ich hasse

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