Luegenherz
Narben an Milas Arm?
Mir ist trotz der Hitze auf einmal kalt. Sehr, sehr kalt.
Wenn sie alles wirklich nur erfunden hat, dann muss sie ihn abgrundtief hassen. Aber wenn er sich als der Lover ihrer Mutter an ihr vergangen hat, wäre dieser Hass verständlich und so wäre auch zu erklären, warum ihre Mutter ihr nicht glauben wollte. Aber warum hat Mila dann Jury da mit reingezogen? Und warum erzählt Jury etwas anderes als Landgraf?
Ich setze mich auf die Bürgersteigkante und weiß nicht mehr, was ich tun soll. Ich wünschte, ich hätte einen Freund oder Lena wäre hier und würde mich in den Arm nehmen und ins Ohr flüstern, dass alles gut ist und ich Mila einfach vergessen und aus meinem Leben streichen soll.
Aber ich weiß, dass das unmöglich ist. Es gibt kein Zurück mehr, so wenig wie für eine durstige Mücke, die in der Sonne glitzernde Wassertropfen sieht, geradewegs darauf zufliegt und viel zu spät merkt, dass sie im Netz einer hungrigen Spinne gelandet ist.
28. Mila
Es ist ja nicht so, dass ich ihm nicht noch eine Chance gegeben hätte. Aber er hat sie versaut. Außerdem war er so unanständig, in seiner Jackentasche vor Kurzem dieses Foto mit ihrem Kommentar zu vergessen: »Ist Benjamin nicht unglaublich süß?« Ich habe das Bild zerfetzt und dann verbrannt, doch aus meinem Kopf konnte ich es nicht mehr entfernen, dort hatte es sich geradezu eingeätzt.
Aber ein Gutes hatte dieser Fund: Danach konnte ich mich ohne falsche Sentimentalitäten an die Arbeit machen. Ich habe lange überlegt, was ich tun kann, damit es auch wirklich wie ein Unfall aussieht. Erst wollte ich seine Seile anritzen, aber das hätte man später rausfinden können. Nein, es musste mehr nach fahrlässigem Handeln von seiner Seite aussehen.
Und dann war es so lächerlich einfach, alle Batterien in seiner Ausrüstung durch fast leere zu ersetzen, dass es schon fast keinen Spaß mehr gemacht hat. Er hat alles gecheckt, bevor er mit Mama Kaffee getrunken hat, anschließend habe ich die Batterien ausgetauscht und ich glaube nicht, dass er die Lampen morgen früh noch mal überprüfen wird.
Jetzt liegen die vollen Batterien in meinem Zimmer. Am liebsten würde ich einen kleinen Altar um sie herumbauen, mit Kerzen und ein paar Blumen, so eine Art Opferaltar. Nur um sicherzugehen, dass es klappt. Es gefällt mir, Macht über ihn zu haben, ohne dass er es weiß. Es kommt mir so gerecht vor und ich wünschte, ich könnte jemandem von meinem genialen Plan erzählen, aber das geht natürlich nicht. Mit Mama kann ich nicht darüber reden, mit Tom erst recht nicht und mit Ally auch nicht. Schade. Irgendwer sollte das zu würdigen wissen.
Ich merke, wie diese Unruhe in mir aufsteigt, diese Unruhe bei der ich mich gar nicht mehr fühle, bei der ich nicht mehr da bin, wie ausgelöscht. Dabei habe ich gedacht, dass ich nur die Batterien anschauen muss, damit das aufhört. Ich gehe in kleinen Kreisen um den Altar herum, versuche, mich zu beruhigen und schließe mal wieder einen Deal mit mir ab: Wenn ich es schaffe, mich jetzt nicht zu ritzen, dann wird alles klappen, aber wenn ich’s nicht schaffe, dann nicht.
Verdammt, es kribbelt überall so, ich bin nur noch ein prickelnder Hautschlauch. Ich beiße mir fest auf die Zunge. Komm, Mila, nur ein bisschen, ein winziges bisschen.
Eine kleine Erleichterung!
Nein. Mila, nein.
Ich renne vor mir selbst weg nach unten und hole mir in der Küche etwas zu trinken. Mama räumt gerade die Spülmaschine aus. »Warum hast du dich vorhin schon wieder so danebenbenommen? Du solltest dich etwas zusammenreißen, sonst flüchtet er sich noch mehr in seine Arbeit als jetzt schon. Und du hast wieder nichts gegessen, das gefällt mir auch nicht.« Sie lässt sich auf die Eckbank fallen, seufzt und fährt sich mit beiden Händen durch die Haare. »Weißt du, Mila, das ist alles zu viel für mich. Ich schaff das nicht mehr. Wir müssen verkaufen.«
Ich setze mich neben sie, das Kribbeln ist nur mehr ein lautes Rauschen, aber ich habe es noch nicht besiegt. Ich zwicke mich leicht in die Ellenbogenbeuge, um klar im Kopf zu werden. »Mama, dann verkaufen wir eben, das macht doch nichts.«
»Aber Blumen Weigand gibt es schon seit hundert Jahren in Augsburg. Mein Vater würde sich im Grab umdrehen.«
»Früher gab’s auch noch keine Blumen bei Aldi für zweifünfzig. Verkauf doch und dann verschwinden wir von hier und fangen ganz woanders neu an.«
Sie schüttelt den Kopf. »Du bist immer noch so ein
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