Lügennetz: Thriller (German Edition)
genügend schlief. Stets legte er Sachen für mich auf den wackligen Treppenabsatz vor meiner Tür. Videos, Obst, Bücher.
An alleroberster Stelle der Beliebtheitsskala stand eine abgegriffene Ausgabe zweier Dichter aus dem siebzehnten Jahrhundert, Herrick und Marvell. In dieser las ich nachts in meinem winzigen Bett und entdeckte aufs Neue, warum ich Englisch studiert hatte. Rosenblätter und geflügelte Streitwagen, ewige Jugend und Schönheit. Es war unheimlich, wie gut mich Peter zu kennen schien.
Peter stotterte sogar, als er mich das erste Mal zu sich zum Abendessen einlud. Wir saßen an einem Tisch mit Tischdecke und Porzellan, und er trug über seiner Bermudashorts ein Jackett. Die Lammkoteletts waren verbrannt, das Kartoffelpüree fast flüssig, doch am Ende des Sonnenuntergangs, noch bevor er über den Tisch griff und meine Hand hielt, wusste ich es.
Wir wussten es beide. Trotz unserer zehn Jahre Altersunterschied hatten wir es mehr oder weniger von dem Moment an gewusst, als wir uns durch das Trenngitter seines Streifenwagens hindurch im Rückspiegel angesehen hatten.
Zwei Wochen später machte er mir einen Heiratsantrag. Während er mir zeigte, wie man angelte, forderte er mich auf, die Leine einzuholen, weil er den Köder wechseln wollte. Doch statt eines Wurms hing ein Ring am Haken, und als ich mich umdrehte, kniete Peter vor mir.
Sechs Monate später heirateten wir auf dem Standesamt.
Ich wusste, die ganze Sache war der reine Wahnsinn. Ich wusste, dass ich zu jung war, dass alles viel zu schnell ging, dass ich impulsiv war. Aber das Wahnsinnigste von allem war, dass es funktionierte.
» Jeanine? « , holte mich Peter aus meinen Gedanken.
Ich öffnete die Augen. » Ja, Peter. «
» Ich dachte, ihr Meerjungfrauen würdet keine Hemden tragen. «
» Nur unter Wasser nicht, du Dummerchen « , erwiderte ich. » An Land, unter euch Sterblichen, müssen wir die verführerische, vernichtende Macht unserer Titten im Zaum halten, sonst seid ihr erledigt. «
» Aber du machst eine Ausnahme? « , fragte Peter.
Ich schloss meine Augen. » Jetzt hast du es verstanden. «
Peter legte die Angelrute zur Seite. » Jeanine? «
» Ja, Peter? «
» Weißt du, worauf ich Lust habe? «
» Vernichtende Verführung? «
» Woher weißt du das? « , fragte er.
» Meerjungfrauen wissen so was « , antwortete ich und nahm meinen Ehemann bei der Hand.
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Jetzt, zwei Jahre später, hatte ich gerade eine Maschine mit weißer Wäsche angestellt, als ich ein Piepsen hörte. Barfuß tapste ich in die Küche und stellte die Zeitschaltuhr der Mikrowelle aus, bevor ich in unserem gemütlichen Strandbungalow nach hinten ins Bad ging.
Dort nahm ich einen tiefen Atemzug und griff mit angehaltener Luft zum Schwangerschaftsteststreifen, der auf dem Toilettendeckel lag.
Die Zeit und mein Herz blieben genau in dem Moment stehen, als ich auf das Anzeigefensterchen mit den beiden blauen Linien blickte. Dann stieß ich den Atem aus wie eine Siebenjährige, die ihre Geburtstagskerzen ausblies.
Weil ich bereits auf der Packung gelesen hatte, was das angezeigte Ergebnis bedeutete.
Eine blaue Linie plus eine blaue Linie ergaben eine schwangere Jeanine.
Zwei Wochen lang war ich im Panikmodus herumgelaufen. Jeden Tag, mit dem meine Regel ausgeblieben war, ein bisschen stärker. Immer wieder dachte ich an die drei Pillen, die ich irgendwie zu nehmen vergessen hatte. Im letzten Monatszyklus musste mein Hirn eingefroren gewesen sein.
Peter hatte mich zur Leiterin der Empfängnisverhütungsabteilung bestimmt, doch ich hatte versagt. Freudenschreie würden nicht zu hören sein.
Ich dachte auch darüber nach, was ein Baby meinem dreiundzwanzig Jahre alten Körper, meiner dreiundzwanzig Jahre alten Zukunft antun würde.
Doch während ich diese beiden blauen Linien anstarrte, passierte etwas Seltsames und Unerwartetes. Ich spürte eine Wärme in meinem Innern, und für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich das Gefühl, mein Baby auf dem Arm zu halten und seine Haut auf meiner zu spüren.
Warum nicht?, dachte ich voll lebensbejahender Ehrfurcht. Warum kann Malibu-Jeanine nicht mit einem Malibu-Baby zum Hawaiifest gehen? Oder sogar mit zweien? Ich hatte immer Kinder haben wollen. Peter und ich hatten es ohnehin für irgendwann in vager Zukunft geplant, warum also nicht schon jetzt?
Das Leben war wahnsinnig. Man musste sich einfach treiben lassen. Wenn mir die letzten beiden Jahre und Key West irgendwas beigebracht hatten, dann das. Mi
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