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Luegenprinzessin

Luegenprinzessin

Titel: Luegenprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Miedler
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hatte, kam Willi hinzu und erklärte die bevorstehende Aufgabe. Ich stupste Diana an und deutete mit dem Kopf auf Quen. Diana prustete los. Quen stand direkt vor Willi, die Finger sittsam vor ihrem Schoß verschränkt, die Oberarme reichlich unsittsam links und rechts an ihren Busen gequetscht, sodass sich ihr Dekolleté fast bis zum Kinn hochwölbte. Die Art, wie sie den Kopf schief hielt und gleichzeitig auf ihrer Unterlippe kaute, musste sie sich aus einem besonders miesen Filmchen abgeschaut haben. »Klar, dass sie Hunger hat, wo sie ja nie was isst«, raunte Diana, »aber dass sie deswegen anfängt, sich selbst aufzufuttern? Sehr bedenklich.«
    Willi beendete seine Erläuterungen, blinzelte kurz in Quens Dekolleté und wand sich dann mit übergroßem Interesse den beiden Männern zu.
    Ich kapierte den Ablauf der Aufgabe nicht wirklich, merkte aber, dass es den anderen ebenso ging. Die vier Bäume, an denen je eine Zielscheibe befestigt war, standen nebeneinander. Mithilfe großer Äste markierte Willi jeweils die Abschussstelle. Wir sollten jeder in eine andere Richtung laufen, so weit wie es nötig war, um von niemandem mehr gesehen zu werden, gleichzeitig mussten wir aber nah genug bleiben, um das Signal zum Zurückkommen nicht zu überhören. »Das ist das Kniffelige an dieser Aufgabe«, hatte Willi erklärt. »Eine Situation richtig einzuschätzen, ist das Schwierigste und gleichzeitig das Wichtigste im Überlebenstraining.«
    Sobald das Signal ertönte, sollten wir, so schnell es ging, zurückrennen, uns an die Markierungen stellen und auf eine der Zielscheiben schießen.
    »Das Allerwichtigste an dieser Aufgabe aber ist die Vernunft und die Vorsicht. Niemand von euch darf sich hinter diese vier Bäume bewegen! Und schon gar niemand darf auf irgendetwas anderes als auf diese vier Bäume zielen«, schärfte Norbert uns ein und klang dabei richtig streng für seine Verhältnisse. Bieninger war dafür rührend blass. »Bitte! Bitte! Die Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste! Das nächste Spital ist eine Autostunde entfernt, also bitte, bitte!«
    »Warum lässt er uns das machen, wenn er sich dabei in die Hose pinkelt?«, schimpfte Felix leise.
    »Sei nicht so«, erwiderte ich. »Ich find Bieni eigentlich ganz niedlich, wenn er so mit den Nerven fertig ist.«
    »Tsssss, Weiber und ihr Mutterinstinkt.« Ich musste wieder daran denken, wie süß er eben beim Schnitzen ausgesehen hatte. Oh Gott, Mia!
    »Uuuuund jetzt!«, brüllte Willi und wir stoben in alle Richtungen davon.
    Ich kämpfte mich durch Zweige, sprang über Baumstümpfe und herabgefallene Äste und hielt immer wieder kurz inne, um zu lauschen. Es dauerte, bis ich mir sicher sein konnte, dass niemand mehr in der Nähe war. Keuchend lehnte ich mich an einen Baum. Was die körperliche Ertüchtigung betraf, war das Camp wirklich einmalig, ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals dermaßen häufig außer Puste gewesen zu sein. Schnaufend blickte ich mich um, vergewisserte mich noch einmal, dass niemand zu sehen, niemand zu hören war. Der Baum, an den ich mich gelehnt hatte, besaß eine weiche Rinde, in die etwas eingeritzt worden war. Ein Herz. Aber die Buchstaben da­rin ließen sich kaum erkennen. Ein N vielleicht. Und ein D? Sicher von ehemaligen Campteilnehmern. Falls es jedoch wirklich ein N war, konnte es sogar für Norbert stehen. Wie hieß seine Frau noch mal? Mir war durchaus bewusst, dass meine Beschäftigung mit dem eingeschnitzten Herz nur der Ablenkung diente, weil ich Zeit schinden wollte. Zeit schinden, um mich noch nicht damit auseinandersetzen zu müssen, worum es jetzt wirklich ging. Noch einmal sah ich mich um. Wohin wohl die anderen gerannt waren? Und wie weit? Vielleicht war es ein Fehler gewesen, mich so sehr vom Ausgangspunkt zu entfernen? Irgendwo knackte ein Zweig. Ich schreckte auf. Angst kroch in mir hoch. Abrupt ließ ich mich gegen den Baum fallen. Was danach geschah, weiß ich heute nur noch bruchstückhaft.

6
    An meinen Schrei kann ich mich erinnern. Weil er passend zum Schmerz anstieg. Und dann, als der Schmerz mir fast das Bewusstsein nahm, erstarb naturgemäß auch der Schrei.
    Wie lange es dauerte, bis man mich fand, konnte ich nicht abschätzen. Ich stolperte vor mich hin, versuchte zu rufen, aber eigentlich hatte ich weder die Kontrolle über meine Beine noch über meine Stimme.
    Diana war auf einmal da und gleich nach ihr die ganzen Jungs, die mich zusammen zum Haus trugen. Weit entfernt hörte ich Felix’

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