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Luegensommer

Titel: Luegensommer
Autoren: Alexandra Kui
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Schwester entdeckt und winkt ihr zu, worauf Marit ebenfalls die Hand hebt, wenn auch widerwillig. Mehr eine abweisende Geste als ein Winken. Wie blass und hager er ist, Arme und Beine spindeldürr. Mit seinen halblangen Spaghettihaaren sieht er fast wie ein Junkie aus, mindestens wie ein Kiffer. Wahrscheinlich trifft Letzteres zu. Marit weiß, dass sie ebenfalls ein wenig zu dünn ist, das liegt in der Familie, etwas seltsam vielleicht für Speiseeis-Fabrikanten – aber Ansgar in seinen Bade-Boxershorts wirkt auf sie regelrecht untergewichtig. Wie unzählige Male zuvor schämt sie sich seinetwegen vor ihren Freunden. Eine Empfindung, auf die sie nicht gerade stolz ist und die sie dennoch nicht unterdrücken kann. Es hat andere Zeiten gegeben: Als sie klein waren, sind Ansgar und sie bestens miteinander ausgekommen. Er ist nur ein Jahr jünger als Marit, und vor ihrer Einschulung waren sie unzertrennlich. Lange her. Die Erinnerungen daran sind schon ziemlich verblichen, was eigentlich schade ist.
    Der Tag schleppt sich. Der Wind hat nachgelassen und die Luft wird mit jeder Stunde schwerer. Juliglut. Wegen der Hitze müssen sie zu guter Letzt doch die mitgebrachten Sonnenschirme aufspannen, obgleich Julia und Helene protestieren. Bloß keinen Sonnenstrahl verpassen, Bikinis sehen auf sonnengebräunter Haut nun mal am besten aus. Marit und Franka probieren ohne große Hingabe eine Partie auf Marits Steckschach und lästern, weil die beiden Pärchen unentwegt knutschen und sonst niemandem Beachtung schenken, aber Marit weiß, wäre Jan da, würde sie dasselbe tun. Es ist verrückt: Sie haben sich am Morgen zuletzt gesehen und doch vermisst sie ihn bereits. In seiner Gegenwart fühlt sie sich immer ein wenig aufgeräumter als allein. Vor lauter Sehnsucht übersieht sie ihn glatt, als er endlich im Anmarsch ist.
    »Na, schau mal, wer da kommt«, sagt Franka. »Die arbeitende Bevölkerung macht heute aber spät Mittag.«
    Marits Stimmung verbessert sich schlagartig. »Jan!«
    Er trägt eine große Portion Pommes rot-weiß in der einen und zwei Flaschen Cola in der anderen Hand, eine davon für sie. Zur Begrüßung ein Kuss, der nach mehr verlangt.
    »Mahlzeit.«
    »Was macht die Eisproduktion?«
    »Brummt. Wenn es so weitergeht, muss dein Vater bald Aushilfen einstellen. Du hast nicht zufällig Lust, heute die Spätschicht zu unterstützen?«
    »Kein bisschen«, sagt Marit. Nicht dass sie sich dafür zu fein wäre, sie hat schon oft in der Fabrik gejobbt, aber in diesem Sommer will sie einfach nur ausspannen. »Und du? Musst du heute noch zur Tankstelle?«
    »Wie immer. In einer Stunde.«
    »Schade. Das nervt.«
    Jan hat drei Jobs: wochentags Frühschicht in der Eisfabrik, Spätschicht in der Tankstelle, Callcenter am Wochenende. Er würde noch mehr arbeiten, wenn der Tag mehr Stunden hätte. Seine Mutter hat ihn allein großgezogen, und das Geld war immer knapp, das hat Spuren hinterlassen. Wie ein Besessener ackert und spart er fürs Studium. Seine Zielstrebigkeit imponiert Marit, manchmal wünschte sie trotzdem, er würde sich etwas mehr Zeit für sie nehmen.
    »Kannst du nicht ein einziges Mal schwänzen? Es ist so heiß. Da tankt doch keiner. Du stehst dir bloß die Beine in den Bauch und langweilst dich zu Tode.«
    Er lacht sie aus. »Von wegen. Von der Meute hier am Strand wird mindestens ein Drittel nachher auf dem Heimweg Benzin brauchen. Außerdem Bier, Würste und Grillkohle. Und Zigaretten. Das kriegen sie alles bei mir.«
    Solange sie denken kann, hat Jan nie eine Schicht versäumt, ein Grund dafür, dass ihre Eltern so begeistert von ihm sind, was Marit natürlich freut. Das macht vieles einfacher. Wenn ihr Vater einen Jungen nicht leiden kann, kennt er keine Hemmungen, spielt sich als stockkonservativer Patriarch auf und ekelt jeden in die Flucht. Bei Jan hat er das nie gemacht, der gehört beinahe schon zur Familie.
    Da es zwecklos ist, ihn wegen heute Nachmittag umstimmen zu wollen, beeilen sie sich mit den Pommes und gehen dann noch kurz zusammen ins Wasser. Es macht ihn jedes Mal wehrlos, sie im Bikini zu sehen, das hat er ihr neulich gestanden. Marit, mangels weiblicher Rundungen in Badebekleidung bislang eher unsicher, hat daraufhin ein völlig neues Selbstbewusstsein im Hinblick auf ihren eigenen Körper entwickelt. Für schlau hielt sie sich schon immer, sich nun obendrein schön zu finden, hebt das Lebensgefühl ungemein. Die Haare wachsen zu lassen, war ebenfalls ein Schritt in die richtige
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