Luegensommer
danke, ich bin schon so was von locker. Ihr seid echt Kinder, wisst ihr das?« Helene nestelt den Kopfhörer zurück an seinen Platz, ohne eine Antwort abzuwarten, und taucht wieder ab in ihre Welt.
Marit und Franka liegen auf dem Rücken und verschnaufen. Am Himmel keine Wolke. Die Sonne hat Kraft, und es dauert nicht lange, bis Marit sich schwitzig fühlt. Auf eine sandig-kitzelige Art schwitzig. Wenn es irgendwann zu heiß wird, kann sie jederzeit ins Wasser springen. Sie wird den Moment so lange wie möglich hinauszögern, um ihn dann umso mehr zu genießen. So war es immer, so muss Sommer sein. Wenn Franka nur nicht ständig betonen würde, dass es ihr letzter gemeinsamer Sommer ist, was ihn nach Marits Ansicht keineswegs zum Supersommer macht, sondern eher einen Schatten auf die schöne freie Zeit wirft. Sicher ist es super, das Abi geschafft zu haben und achtzehn zu sein und damit zumindest von Gesetz wegen tun und lassen zu können, was man will. Doch was ist so toll daran auseinanderzugehen?
Der Wind weht von den Imbissbuden herüber, und es riecht nach Pommes und Bratwurst. Marit versucht, sich Helene als Journalistikstudentin in Berlin vorzustellen, es gelingt ihr ganz gut, aber Franka in Australien, das ist zu unwirklich, wortwörtlich zu weit weg. Franka ist Marits beste Freundin. Und jetzt will sie für ein ganzes Jahr ans andere Ende der Welt verduften, mit fünfhundert Dollar Startkapital und einem Work-&-Travel-Visum in der Tasche – das ganz große Abenteuer. Wäre es nach Franka gegangen, hätten sie die Reise zusammen angetreten, im Winter gab es deshalb oft Streit. Denn Marit hat andere Pläne: in Hamburg Betriebswirtschaft studieren, und zwar so gut und so schnell wie möglich, um dann hier im Dorf in die Eisfabrik ihres Vaters einzusteigen. Ein Austauschsemester in England oder in den Vereinigten Staaten könnte sich als nützlich erweisen. Damit wäre ihr Bedarf an Abenteuern dann auch schon gedeckt. Fester Bestandteil dieses Zukunftsszenarios ist ihr Freund Jan. Sie werden das Studium zusammen durchziehen. Und wenn alles gut geht, auch den ganzen Rest, Hausbau und Familiengründung inklusive. Drei Kinder Minimum. Sie sind so gut wie verlobt. Sie selbst hält sich für bodenständig und betrachtet das als gute Eigenschaft, während Franka der Meinung ist, mit ihren spießbürgerlichen Vorstellungen könne Marit sich auch gleich lebendig begraben lassen. Ziemlich fies von ihr.
Inzwischen steht die Sonne fast senkrecht am Himmel, und flussabwärts in der Ferne flimmert die heiße Juliluft, als würden dort der Strand und die Badegäste zerfließen und eins werden mit dem Wasser. Zeit für eine Abkühlung. Marit steht auf. »Ich gehe jetzt schwimmen. Kommt jemand mit?«
Zuerst winken beide Freundinnen ab, aber nach kurzem Zögern folgt Franka ihr doch und beschwert sich wortreich über die Hitze. Kaum hat die Elbe allerdings ihre Füße befeuchtet, zuckt sie zusammen und weicht zurück. »Mist, ist das kalt. Ich glaube, ich hebe mir das Baden für Sydney auf. Der Pazifik ist wenigstens warm und bestimmt nicht so eine Plörre wie das hier.«
»Der Pazifik ist überhaupt nicht warm. Außerdem ist in Sydney jetzt Winter. Hast du dich überhaupt mal mit dem Land befasst, in dem du ein Jahr verbringen willst?«
Marit wendet sich ab. Von wegen Plörre. Sie liebt den Fluss, der so nah an der Mündung bereits nach Meer riecht und mit den Gezeiten ständig sein Gesicht verändert. Im Augenblick steht die Elbe tief, und die Strömung weit draußen in der Fahrrinne fließt träge landeinwärts. Blausilbern glitzerndes Wasser, keine Frachter zu sehen, daher auch keine Wellen. Kleinkinder mit Eimern und Schaufeln buddeln im Matsch, gleich daneben werfen sich ein Mann und eine Frau eine Frisbeescheibe zu, wobei sie sich viel geschickter anstellt als er, auf dem Anleger wartet eine Gruppe Rentner auf ihren Ausflugsdampfer. Alle genießen den Tag, sind laut, lachen. Nur Franka schert sich einen Teufel um ihr eigenes Gerede und findet auf einen Schlag gar nichts mehr super, raunzt sogar noch den Frisbeespieler an, da sie sich von ihm bedrängt fühlt.
»Vollidiot. Hast du das eben gesehen? Der Typ hätte mich fast umgerannt.«
»Hat er aber nicht.«
»Aber fast. Viel zu voll heute. Das macht echt keinen Spaß. Sollen wir abhauen?«
»Gegenfrage: Kannst du mir mal sagen, was das soll?«
»Was soll was?«
»Warum musst du plötzlich alles schlechtreden?«, fragt Marit und weicht einem Hund aus, der
Weitere Kostenlose Bücher