Luegensommer
sich mit großen Sprüngen in die Fluten stürzt. Irgendwo pfeift sein Besitzer. »Das ist unser Strand und unser Sommer. Dein Mantra. Keine zwei Stunden alt.«
Sie stehen sich jetzt gegenüber und blicken einander direkt in die Augen. Franka wirkt seltsam verzagt. Dabei sieht sie eigentlich schon wegen ihrer vielen Sommersprossen fast immer fröhlich aus.
»Wenn ich es schlechtrede, fällt mir der Abschied nicht so schwer.«
Marit hebt überrascht die Brauen. »Der fällt dir schwer? Ich dachte, du kannst die Zeit kaum abwarten, bis es so weit ist. Du warst doch ganz wild auf Australien.«
»Bin ich ja auch immer noch. Aber trotzdem habe ich manchmal Schiss, all das hier zu verlieren. Nicht dass es so toll wäre. Aber ich bin eben daran gewöhnt.«
»Warum solltest du etwas verlieren? Wenn du Heimweh hast, kommst du eben zurück nach Hause. Du kannst ja jederzeit zurückkommen. Deine Eltern würden sich freuen.«
»Und wenn sich alles verändert hat, wenn ich zurückkomme?«
Du wirst dich dann verändert haben, denkt Marit, aber das spricht sie nicht aus. Wozu auch?
»Ich kann dich beruhigen: Das hier ist der Arsch der Welt. Hier verändert sich nie irgendwas. Niemals. Auch nicht in zehn Jahren. Deshalb willst du ja auch unbedingt weg. Und du wirst mir echt fehlen.« Sie sagt es leichthin, als Aufmunterung gedacht, spürt jedoch, wie der Gedanke an den bevorstehenden Abschied ihr gleich wieder einen Stich versetzt, wohingegen Franka ihre gute Laune zurückgewinnt und kurz Marits Schulter drückt.
»Ich werde dich auch schrecklich vermissen«, verspricht sie, und bei ihr hört es sich an, als ginge es dabei um eine eher erfrischende Beschäftigung.
Immerhin: Die Harmonie zwischen ihnen ist wiederhergestellt. Beim Schwimmen sind Australien und die Zukunft vergessen, und es zählen nur der Fluss und das Jetzt. Sie sind beide gute Schwimmerinnen, wetteifern aus alter Gewohnheit, wer zuerst die grüne Tonne, eine Boje an der Grenze zum Fahrwasser, erreicht. Ein gewagtes Unterfangen, die Elbe birgt viele Gefahren, die Strömung, die Kälte, vor allem in der Nähe des Anlegers entstehen oft Strudel, doch sie kennen sich aus und neigen im Gegensatz zu den meisten Jungs keineswegs dazu, sich zu überschätzen. Der Strom gibt sich anschmiegsamer als sonst an diesem Tag: ein verschlafenes Kätzchen. Schwerelos gleitet Marit dahin. Nur dreimal atmen bis zum Ziel, das gelingt ihr nur selten. Franka ist chancenlos und eine faire Verliererin – das muss man ihr lassen.
Inzwischen hat Helene Gesellschaft von ihrem Freund und einem weiteren Pärchen aus der Clique bekommen. Fehlen noch Jan und Hendrik, dann wäre der innere Zirkel komplett. Hendrik gehört eigentlich zu Franka, ob er aufkreuzen wird, ist allerdings unklar, nachdem er und seine Freundin sich letzte Woche zerstritten haben. Wäre es nach Franka gegangen, hätten sie den Sommer bis zu ihrer Abreise noch als Paar verbracht, unmittelbar davor wollte sie ihm dann den Laufpass geben. Marit wundert es nicht, dass Hendrik ihre Absichten durchschaut und ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Er mag ein netter Kerl sein, aber gewiss kein Volltrottel. Im Gegensatz zu Marits Bruder Ansgar. Letztes Jahr im Frühling waren Franka und er für drei Wochen zusammen, und nach Marits Einschätzung hat sie ihn in erster Linie dazu benutzt, sich in ihrem Informatik-Leistungskurs Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, denn Ansgar ist ein ziemliches Ass am Computer. Andere Qualitäten hat er kaum. Zu unsportlich, zu introvertiert und im Allgemeinen zu desinteressiert, um sich in der Schülerschaft des Theodor-Sturm-Gymnasiums Respekt zu verschaffen, fristet er ein stilles Außenseiterdasein. Dass er im Großen und Ganzen von seinen Mitschülern in Ruhe gelassen wird, verdankt er vermutlich dem Einfluss ihres Vaters. Immerhin ist Winfried Pauli einer der wichtigsten Arbeitgeber in der Region.
Als hätten Marits Gedanken ihn angelockt, taucht Ansgar wenig später am Strand auf, seine Freundin Zoé im Schlepptau, auch sie ein Computerfreak.
»Was will der denn hier?«, fragt Franka genervt. Über die kurze gemeinsame Zeit hat sie nie ein Wort verloren.
»Was wohl? Was alle wollen. Rumhängen.«
Da zwischen Marits Clique und dem erstaunlich friedlichen Koma-Klub noch ein Fleckchen Sand frei geblieben ist, breiten die zwei ihre Strandlaken in unmittelbarer Nachbarschaft aus.
»Na toll«, sagt Franka.
»Eifersüchtig?«
»Auf die auch gerade.«
Ansgar hat seine
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