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Luegensommer

Titel: Luegensommer
Autoren: Alexandra Kui
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seinen Schmerz wie einen Tritt in den Magen.
    Sie ist seine große Schwester. Sie ahnt, sie müsste jetzt aufstehen und zu ihm hingehen, sich ebenso anstarren lassen, damit er nicht mehr so allein ist mit dem Hohn und Spott der Leute. Das wäre das Mindeste. Aber sie bleibt sitzen wie gelähmt, während es Ansgar nach einer Ewigkeit endlich gelingt, die Badehose wieder anzuziehen.
    Zoé ist auf und davon. Anstatt zu flüchten, begeht Ansgar gleich die nächste Dummheit, indem er sich auf Hark Jansen stürzt, eine Gelegenheit, auf die der Koma-Klub schon den ganzen Tag gewartet hat. Sofort ist Ansgar von den Kerlen umringt. Jetzt bekommt Marit wirklich Angst um ihren Bruder. Sie weiß nicht, ob sie die DLRG holen soll oder lieber per Handy gleich die Polizei. Die Vorliebe der Jansen-Brüder für Waffen aller Art ist ein offenes Geheimnis. Sie blickt sich um: Wie beschäftigt plötzlich alle sind.
    Am Ende geht Marit, gefolgt von Jan und Helenes Freund Markus, selbst dazwischen. Eine kopflose Aktion: Die Jungs schirmen ihren Bruder ab, Marit quatscht auf die Angreifer ein, versucht, ruhig zu wirken, zu schlichten, während sie innerlich zittert. Als sie Hark Jansen am Oberarm berührt, macht er ein Gesicht, als wolle er zuschlagen, und sie versucht, sich gegen den Schmerz zu wappnen. Aber nichts passiert. Hark Jansen verharrt und glotzt sie an wie ein lästiges Insekt.
    »Sag deinem bekloppten Bruder, er darf gehen.«
    Das ist nicht nötig. Ohne ein Wort zu seiner Schwester und ihren Freunden macht sich Ansgar aus dem Staub. Von Dankbarkeit keine Spur.
    Eine halbe Stunde später ist Marit noch immer so aufgewühlt, dass sie unwillkürlich mit geballten Fäusten dasitzt. Sie kommt einfach nicht wieder runter. Jan ist zur Arbeit aufgebrochen und sie hat für heute jegliche Lust aufs Strandleben verloren. Die anderen haben vorgeschlagen aufzubrechen, Markus und Helene sind schon weg, doch Marit ist unschlüssig. Da Ansgars Klamotten und sein Rucksack im Sand liegen geblieben sind und er seit der Prügelei verschwunden ist, mag sie das Feld nicht einfach so den Saufbrüdern überlassen. Vermutlich sind Portemonnaie und Handy in dem Rucksack, beides würde garantiert geklaut werden. Mitnehmen will sie die Sachen aber auch nicht.
    Schließlich kehrt nicht Ansgar, sondern Zoé zurück an den Strand und gesellt sich ausgerechnet zu Hark Jansen und seinen Freunden, scherzt und schäkert, lässt sich ein Bier ausgeben.
    »Das ertrag ich nicht«, sagt Marit.
    »Dann hauen wir ab. Das bringt doch hier nichts mehr. Nimm einfach den Rucksack mit und lass die Klamotten liegen«, schlägt Franka vor.
    Sie hat recht. Zwar ist Marit sich sicher, dass Jeans und T-Shirt ihres Bruders in der Elbe oder später im Lagerfeuer landen werden, letztlich kann das aber nicht auch noch ihr Problem sein. Mit seinem Talent, sich in großem Stil lächerlich zu machen, hat er ihr ohnehin den Tag versaut. Muss er eben in Badehose nach Hause kommen.
    Sie packen zusammen und brechen auf. Als sie an Zoé vorbeigeht, kann Marit sich nicht beherrschen und nennt sie eine Schlampe. Sicher, es gibt weitaus schlimmere Beleidigungen, die man einem Mädchen wie ihr an den Kopf werfen kann, doch hätte Marit geahnt, dass sie Zoé niemals wiedersehen würde, wäre ihr das gewiss nicht passiert.

Vermisst
    Sie werden dich nicht finden. Solange ich schweige. Wenn ich nur wüsste, wie ich das durchstehen soll. Alle werden nach dir suchen, vielleicht wirst du sogar berühmt, das wolltest du doch immer. Ich wünschte, es gäbe jemanden, mit dem ich reden könnte. Jemanden außer dir.
    O mega-Wetterlage. Die Nachrichtensprecherin im Radio stellt eine lang anhaltende Hitzeperiode in Aussicht und Marits Vater verlässt das Haus beschwingt, nachdem er Frau und Tochter zum Abschied geküsst hat, was er in verregneten Sommern, wenn kaum jemand Eis essen mag, durchaus mal vergisst. Er ist selten zu Hause und selbst am Wochenende kreisen seine Gedanken meistens um das Geschäft.
    Marit und ihre Mutter bleiben am Frühstückstisch zurück und machen sich über ihn lustig: immer das gleiche Spiel, Jahr für Jahr, sein Stolz auf jede gute Saison, in der das Wetter mitspielt, als hätte er persönlich darauf Einfluss genommen. Seit die Nachfrage nach Speiseeis auch im Winter gestiegen ist, steckt allerdings mehr sportlicher Ehrgeiz dahinter als existenzielle Sorge. Die Firma steht blendend da. An einem Tag wie diesem werden in drei Schichten mehr als eine Million Portionen Eis am
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