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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Haltung, und sie spricht es tatsächlich aus, viel lauter als nötig: »Dann hätte er vielleicht nicht seine Freundin erschlagen.«
    »Das glaubst du nicht im Ernst.«
    »Die Polizei hat Beweise.«
    »Hat sie nicht.« Marit schlägt die Hände vors Gesicht und unterdrückt einen Schrei.
    Hass. Sie hasst ihre Mutter, sie hasst ihren Vater. Im Namen des Karpfens, des Außerirdischen, der Ratte und des Engels, dem ein Flügel fehlt.
    Beweise, Beweise. Es gibt sie, laut Ansgars Anwalt. Helene und diese Mimi waren schlecht informiert. Da sind nicht nur die Zeugenaussagen über Handgreiflichkeiten zwischen Ansgar und Zoé sowie die Realität seines Fluchtversuchs. Es sieht nicht gut aus für Marits Bruder. Denn es existieren offenbar Briefe des Mörders an sein Opfer, der Inhalt: Erklärungen, Reue. Diese Zeilen wurden Zoé posthum per E-Mail zugesandt, der Absender nannte sich Jim S., eine Scheinadresse, eigens zu diesem Zweck eingerichtet, und er agierte von einem öffentlichen Rechner der Gemeindebibliothek aus. An drei unterschiedlichen Tagen. Dummerweise war Ansgar an mindestens einem dieser Tage dort, um Bücher zurückzubringen. Dass an den anderen seine Bibliothekskarte nicht benutzt wurde, bedeutet, er hat keine weiteren Medien entliehen oder zurückgebracht, könnte jedoch trotzdem den Computer benutzt haben. Zumal sein eigener ja von der Polizei beschlagnahmt wurde. Was außerdem gegen ihn spricht: Nach seiner Verhaftung sind keine weiteren Briefe in Zoés Postfach eingegangen.
    Und nun? Marit liegt auf ihrem Bett, Arme hinter dem Kopf verschränkt, äußerlich völlig entspannt, während ihr Über-Ich, die Stimme der Vernunft, mit fanatischer Herrschsucht Befehle auf sie herabregnen lässt. Aufgeben. Neu anfangen. Ansgar abschreiben. Akzeptieren, dass das Fundament ihrer Familie auf Lügen errichtet wurde, und mit schonungsloser Ehrlichkeit dem eigenen Leben gegenüber kontern. Alles dummes Zeug. Tatsache ist: Sie weiß nicht weiter.
    Sie heult ein bisschen. Als ihr Handy klingelt, geht sie nicht ran. Keine fünf Minuten später ein Klopfen an der Zimmertür, die Klinke bewegt sich, aber die Tür bleibt zu. Gut so. Marit hat sich eingeschlossen, findet es durchaus vorstellbar, bis zum Winter einfach nur auf ihrem Bett vor sich hin zu vegetieren und die Ereignisse des Sommers zu verdauen. Wie sie diesen Juli satthat.
    »Marit?«
    »Was?«
    »Da ist die Kripo für dich am Telefon. Birte Varnhorn.«
    »Ich kann nicht.«
    »Sie sagt, es sei wichtig. Es geht um einen Stein.«
    Ein Hoffnungsschimmer kämpft sich durch den Nebel ihres Selbstmitleids. Hat sie etwa doch den richtigen Instinkt bewiesen und der Polizei die Tatwaffe serviert? Das wäre ja wohl mehr wert als ein paar seltsame E-Mails.
    Marit springt auf, öffnet, schnappt sich das Telefon. »Ja?«
    »Tierblut«, sagt Birte Varnhorn ohne Umschweife. »Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, aber das Blut auf dem Stein stammt von einem saftigen Steak. Herr Gorny arbeitet an einer neuen Fotoserie mit dem Arbeitstitel ›Mordwaffen‹, die dazugehörigen Arbeiten haben Sie ja sicherlich eingehend betrachtet.«
    Marit kaut auf der Unterlippe. »Zu blöd.«
    »Allerdings. Zumindest von Ihrem Standpunkt aus betrachtet. Aber ich habe auch noch eine gute Nachricht. Eine Anzeige wird es nicht geben, Herr Gorny hat anscheinend eine Schwäche für Sie. Ich übrigens auch. Und Sie müssen deswegen nicht mal Danke sagen.«
    Wieder behält die Kommissarin das letzte Wort. Marit ignoriert die Neugier im Gesicht ihrer Mutter, die im Flur ausharrt, sich jedoch nicht die Blöße gibt nachzufragen. Wortlos reicht sie das Telefon zurück, schließt die Tür.
    Allein in ihrem Zimmer fängt Marit an, auf und ab zu gehen, vom Bett zur Tür, von der Tür zum Fenster, zum Schreibtisch, zum Bett. Ihr ist heiß. Tür, Fenster, Schreibtisch, Bett. Da liegen noch die Bücher, die sie aus Zoés Zimmer mitgenommen hat. Die Bibel ganz oben, eine Anspielung an ihr Scheitern: die Möchtegerndetektivin schachmatt. Wenn sie an gestern denkt, wird sie schwach vor Scham. Sie ist sich so cool vorgekommen, und was hat sie erreicht? Nichts.
    Ohne nachzudenken, ergreift sie die Bibel und schlägt sie auf. Anstatt auf irgendwelche Psalmen fällt ihr Blick auf eine grafische Abbildung der Öresundbrücke in Lila. Und auf eine Zahl: fünfhundert. Zoé hat einen Fünfhundert-Euro-Schein in ihrer Bibel versteckt, nein, bei näherem Hinsehen handelt es sich sogar um ein ganzes Bündel

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