Luegensommer
Augenbrauen.
Schweigen. Marit verspeist ihre Rühreier und den Speck mit wachsendem Appetit. Anscheinend war sie hungriger, als sie dachte. Auch der Orangensaft tut gut. Für einen Moment ist sie gerührt, weil ihre Mutter sie so umsorgt, ohne ihre Entgleisung zu thematisieren oder ihr sogar Vorwürfe zu machen. Aber dann fällt Marit wieder ein, dass sie eigentlich wütend auf sie ist – und vor allem warum. Die Wut war nur auf Stand-by.
Ihre Mutter kann nicht ahnen, dass es besser wäre, jetzt den Rückzug anzutreten. »Hattest du Streit mit Jan?«
»Nein. Wir streiten uns nie. Im Gegensatz zu dir und Papa.«
Das Gesicht ihrer Mutter wird eine Spur abweisender. »Es ist nichts Schlimmes, sich gelegentlich zu streiten. Das wirst du auch noch lernen.«
»Ach so. Und ist es auch nichts Schlimmes, gelegentlich fremdzugehen? Gehört das ebenfalls zu den Dingen, die ich noch lernen werde?«
Ihre Mutter gibt einen unartikulierten Laut von sich, eine Art Fauchen. »Diesen selbstgerechten Zynismus, den hast du von deinem Vater.«
»Wenigstens weiß ich, wer mein Vater ist«, sagt Marit und lässt sich in einem Strudel aus Bitterkeit und Verachtung treiben. »Im Gegensatz zu Ansgar, meine ich. Wenn du das nächste Mal darüber nachdenkst, was bei dem armen Jungen verkehrt gelaufen ist, könntest du diesen Umstand ja eventuell berücksichtigen.«
Pause. Auf der Straße fährt ein Auto vorbei, danach ist es totenstill.
»Marit, ich verstehe, dass du aufgebracht bist, aber diese Art von Beleidigungen muss ich mir von dir nicht anhören«, sagt Hilke Pauli schließlich. Sie wirft den Kopf in den Nacken wie eine Operndiva und stolziert davon.
Marit blickt von dem Stuhl, auf dem ihre Mutter eben noch gesessen hat, auf die geschlossene Tür, durch die sie verschwunden ist. Der Kalender mit den Leuchtturmbildern wackelt. Es ist immer noch Juli.
»Von wem denn sonst?«, fragt sie ins Leere.
Der Teller ist blitzblank. Ihr Zimmer aufgeräumt, unverändert. Keine Trümmer. Und doch beschleicht sie das Gefühl, als wäre soeben etwas in die Luft gejagt worden, ein schönes, altes Gebäude, und nun hängt bloß noch der Staub des Verlusts in der Luft. Ihre Mutter mag die Sprengladung gelegt haben, aber Marit hat den Zünder gedrückt.
Sie geht ins Badezimmer und hält ihr Gesicht unter kaltes Wasser, danach betrachtet sie sich im Spiegel. Unter der Bräune ist sie blass und ihre Haut sieht wie Pappe aus.
In der Küche. Marits Mutter steht mit verschränkten Armen vor dem neu eingesetzten Fenster und blickt in den Garten, wo die Nachbarskatze unter der blauen Hortensie ein schattiges Plätzchen gefunden hat, sie leckt sich die Pfoten. Vor ihr liegt etwas Schwarzes im Gras. Es könnte ein toter Vogel sein, womöglich eine Amsel. Vielleicht hat die Katze das schrille Zwitschern ebenso nervig gefunden.
Marit nimmt den Orangensaft aus dem Kühlschrank und gießt sich ein weiteres Glas ein.
»Es tut mir leid«, erklärt sie nach kurzer Überwindung. »Ich hätte das vermutlich nicht sagen sollen. Zumindest nicht so.«
»Schon gut.« Ihre Mutter sieht sie nicht an. »Manche Dinge kann man eben nicht rücksichtsvoll formulieren. Wir können darüber reden, wenn du willst.«
Reden klingt gut. Marits Zorn hat sich mit der Explosion verflüchtigt, zurückgeblieben ist nur die Befürchtung, die Ehe ihrer Eltern könnte in Gefahr sein. Sie ist inkonsequent, das ist ihr klar: Wenn Jan sie betrogen hätte, würde sie sofort Schluss machen. Dennoch verlangt sie von ihrem Vater, großzügig zu sein und seiner Frau zu verzeihen, damit die Familie intakt bleibt. Die Vorstellung, ein Scheidungskind zu werden, ist ihr zuwider, daran ändert auch ihr bevorstehender Umzug in eine eigene Wohnung nichts. Es würde alles infrage stellen, woran sie bislang mit der größten Selbstverständlichkeit geglaubt hat. Oder ist das längst passiert, und sie versucht lediglich, sich etwas vorzumachen?
»Weißt du, das Schlimme ist, dass wir so viel Zeit gebraucht haben, um unsere Krise damals zu überwinden. Und jetzt nach dem Mord an Zoé und Ansgars Verhaftung kocht alles wieder hoch«, sagt Marits Mutter.
»Papi wusste also die ganze Zeit Bescheid?«, hakt Marit nach.
Ihre Mutter nickt.
Marit ist nicht überrascht, nur enttäuscht, denn das wirft ein noch schlechteres Licht auf die Tatsache, dass er gerade jetzt die biologische Vaterschaft heimlich überprüfen lässt, als könne ihn das Ergebnis von jeglicher Verantwortlichkeit freisprechen. Sie
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