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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Prigge noch eine Bitte an sie: Wenn sie ihn demnächst wegen der Geldrückgabe besuche, möge sie ihm doch ein Eis am Stiel mitbringen. Ein Moonracer. Denn Zoé habe ihm versichert, das sei das richtige Eis für coole Typen.
    Der Marktleiter des Discounters ist jung, vielleicht Mitte zwanzig, und gar nicht mal so unattraktiv, von den zerkauten Fingernägeln abgesehen. Er bedankt sich so überschwänglich für den Hinweis wegen der Masche der Opelfahrerin, dass Marit den Laden mit dem beschwingten Gefühl wieder verlässt, wenigstens diese Kleinigkeit zu einem guten Abschluss gebracht zu haben. Es verfliegt sofort, als sie Herrn Prigges Blicke auf sich ruhen spürt. Da hockt er nach wie vor auf seinem dämlichen Balkon und fällt sein unfaires Urteil über sie. In Gedanken rechtfertigt sich Marit: Die Leute, die von der Opelfahrerin abgezockt werden, mussten ihr Geld auch erst verdienen. Nicht jeder, der ein dickes Auto fährt, ist automatisch steinreich oder ein Schmarotzer, weil er beim Discounter kauft. Und selbst wenn: Rechtfertigt ein Unrecht das andere? Sie widersteht dem Drang, dem Alten den Stinkefinger zu zeigen, stattdessen geht sie betont gelassenen Schrittes zu ihrem Mini hinüber. Ein echtes Luxus-Gokart – auch den Wagen würde Herr Prigge ihr vermutlich zur Last legen, die taubenblaue Metalliclackierung, den weißen Rallyestreifen, den verchromten Kühlergrill, die Leichtmetallfelgen, ebenso das iPhone und wer weiß was noch alles.
    Marit steigt ein und lässt die Fenster hinunter. Sie ist den Tränen nah. Das Gespräch hat sie aufgewühlt, ohne dass sie genau sagen könnte, warum. Zum Teil liegt es am Wetter. Wenn man nicht tagein, tagaus bloß am Strand rumhängen und baden kann, sind die Temperaturen mörderisch. Sie sehnt sich nach einem reinigenden Gewitter.
    Das Handy klingelt. Helene. Marit nimmt das Gespräch an und bereitet sich darauf vor, der Freundin die Quintessenz von Herrn Prigges Aussagen über Zoé zu referieren, als sie das unterdrückte Schluchzen registriert.
    »Was ist?« Sie ist nicht sicher, ob sie die Antwort wirklich hören will. Bitte nicht noch eine Katastrophe.
    »Kannst du schnell zum Sperrwerk kommen?«
    »Klar, wieso?«
    »Ich glaube, Mimi Perlan ist tot.«
    Überall Polizei. Das Sperrwerk ist abgeriegelt, hinter dem rot-weißen Absperrband drängen sich mindestens hundert Schaulustige, etliche Fotografen und ein Fernsehteam. Marit muss die Ellenbogen einsetzen, um sich auf der Suche nach Helene ihren Weg durch die Menge zu bahnen. Wie zu erwarten hat die Freundin einen Platz ganz vorn ergattert, in der Hand eine Kamera.
    »Da bist du ja endlich.«
    Sie umarmen sich.
    »Was ist passiert?«
    Helene setzt zu einer Antwort an, bekommt aber kein Wort über die Lippen, deutet stattdessen auf das, was gut zweihundert Meter entfernt vor sich geht.
    Zuerst nimmt Marit nur Einsatzkräfte wahr: Feuerwehrmänner, Sanitäter, Polizisten in Uniform, Polizeitaucher, Kripoleute, darunter Birte Varnhorn und Beamte der Spurensicherung in weißen Overalls. Alle scheinen nur herumzustehen und auf etwas zu warten, drehen der ebenfalls wartenden Menge den Rücken zu. Marit hält Ausschau nach ihrem Vater, obwohl sie weiß, dass die Ortswehr ihres Dorfes nicht für das Sperrwerk zuständig ist. Als sie ihn nicht entdeckt, ist sie froh. Er würde sie bloß wegschicken.
    »Gleich muss es so weit sein«, sagt Helene und schießt aus lauter Nervosität wahllos ein paar Fotos.
    Dann erst entdeckt Marit den Kran. Ein richtiges Ungetüm in Signalrot, eigentlich nicht zu übersehen. Sein mächtiger Teleskoparm schwebt über dem Wasser der Ostemündung, beaufsichtigt von Männern, die abwechselnd Kommandos in ihre Walkie-Talkies bellen. Der Gestank nach Hydrauliköl. Das Surren der Winde. Ansonsten ist es geradezu unheimlich still.
    »Ist ein Auto ins Wasser gestürzt?«, schlussfolgert Marit.
    Helene nickt.
    »Und du glaubst, Mimi Perlan saß am Steuer?«
    Erneutes Nicken.
    »Warum?«
    »Weil ich sie seit gestern Nacht nicht erreiche. Ihr Handy ist ausgeschaltet. Die Polizeitaucher sollen eine Frauenleiche in dem Fahrzeug entdeckt haben, das hat mir der Kreisbrandmeister erzählt. Weil sie eingeklemmt ist, können die sie nicht vorher bergen. Sie ist noch da drin, ist das nicht schrecklich?«
    Ein Albtraum. Marit merkt, dass sie die Zähne fest zusammenbeißt, so angespannt ist sie. Unvorstellbar, dass es nach Zoé nun noch eine Tote geben soll, und obgleich der Beweis nicht zu übersehen ist, weigert

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