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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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sie sich, es zu glauben, muss sich am Riemen reißen, bevor sie weiterfragen kann: »Aber warum sollte Mimi Perlan mit ihrem Wagen in den Fluss stürzen?«
    »Sie war ziemlich schnell unterwegs. Und die Polizei hat Reifenspuren von einem weiteren Wagen sichergestellt. Also vermutlich ist sie verfolgt worden. Als sie sah, dass die Klappbrücke hochgezogen ist und sie in der Falle sitzt, geriet sie in Panik, hat zu stark gebremst und schließlich die Kontrolle verloren.«
    »Sagt das auch der Kreisbrandmeister?«
    »Ja. Natürlich ist das Ganze noch nicht offiziell.«
    Ein Raunen geht durch die Menge wie bei einem Feuerwerk, als der Fluss mit einem Schmatzen seine Beute freigibt. Das Autowrack hängt am Haken, schwebt eine Weile für jedermann gut sichtbar hoch in der Luft, Sturzbäche von Wasser ergießen sich aus dem schwarzen Fiesta. Vorn auf der Fahrerseite ist die Schnauze demoliert, was, wie Marit vermutet, beim Durchbrechen der Leitplanke geschehen sein muss. Berliner Kennzeichen.
    Helene schreit auf und ergreift Marits Handgelenk. »Das ist sie. Ohgottogott. Das ist Mimis Wagen. Und ich wollte noch unbedingt mit ihr mitfahren. Oh Gott! Wenn sie mich nicht abgewimmelt hätte, wäre ich …« Sie krallt sich an Marit fest, vergisst sogar, den entscheidenden Augenblick für ihre Zeitung mit der Kamera festzuhalten. »Wir müssen mit Birte Varnhorn reden.«
    Ausgerechnet. Unterdessen ist es dem Kranführer gelungen, den Fiesta sanft, beinahe geräuschlos auf dem Boden abzusetzen, wo die Hauptkommissarin und ihr Kollege bereitstehen und sofort beginnen, das Fahrzeug zu inspizieren.
    »Es ist … Sie wurde … Oh Gott!« Helene ist außerstande, einen Satz zu Ende zu bringen.
    Marit wünschte, sie würde einfach die Klappe halten. Sie beobachtet, wie Birte Varnhorn einen der Feuerwehrmänner herbeiwinkt und ihm etwas zuraunt, worauf dieser mit verständnisvollem Gesicht nickt. Er erteilt einen Befehl und seine Untergebenen schleppen eine große graue Decke an, mit der sie den Zuschauern die Sicht versperren. Ein paar Leute murren.
    »Marit, das war Mord.« Helene hat sich gefangen.
    »Mindestens Totschlag. Wenn tatsächlich ein zweiter Wagen im Spiel war.«
    »Was glaubst du denn? Warum sollte die Perlan sonst so einen Unfall bauen? Mist, ich habe überhaupt keine Fotos von der Bergung. Mein Chef macht mir die Hölle heiß.«
    »Und wenn schon«, sagt Marit. »Du bist eh bald in Berlin.«
    Sie stehen rum und starren auf die graue Decke, während das Fernsehteam, gefolgt von einer Handvoll Amateurfilmern, den Standort wechselt, in der offenkundigen Absicht, wenigstens einen Seitenblick auf das Opfer zu erhaschen. Marit hofft, dass der Kran und die Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr ihnen einen Strich durch die Rechnung machen werden. Sie ruft sich ihre einzige Begegnung mit der Journalistin ins Gedächtnis, ihre aufdringlichen Fragen beim Schützenfest. Jung war sie, keine dreißig, stark geschminkt, kurzer Rock, Stöckelschuhe. Beim besten Willen kann sich Marit nicht an ihr Gesicht erinnern, nur an eine weiße, weit aufgeknöpfte Bluse, die über den Brüsten spannte, eine teure Sonnenbrille, lässig in die Knopfleiste gesteckt. Hatte sie einen Freund oder war sie vielleicht sogar verheiratet? Hatte sie Kinder? Marit fragt Helene, doch die zuckt bloß mit den Schultern, spielt nun, da sie sich wieder im Griff hat, den abgeklärten Profi. Die Vorstellung, das Bemühen, Ansgars Unschuld zu beweisen oder, neutraler formuliert, die Wahrheit herauszufinden, könnte die Frau das Leben gekostet haben, macht Marit fertig.
    Hinter dem Sichtschutz geschäftige Betriebsamkeit, was sich für die Zaungäste lediglich am steten Hin und Her der Männer von der Spurensicherung bemerkbar macht. Da der spektakuläre Teil des Einsatzes eindeutig vorüber ist, räumen die ersten Gaffer das Feld.
    »Wollen wir auch abhauen?«, fragt Marit, die sich gern zum Nachdenken an einen kühlen Ort zurückziehen würde, da in ihrem Kopf mal wieder das absolute Chaos herrscht. Wie in einem brennenden Hochhaus: Die Gedanken fliehen kreuz und quer und rufen ihr etwas zu, stürzen als brennende Trümmer auf sie herab, und sie steht da wie angepflockt, unfähig, sich für eine Richtung zu entscheiden. Zoé, die Schöne, die alle Typen scharfmacht, die begabte Künstlerin mit einem Faible für Tabubrüche, die Schlampe, die Kifferin, das vernachlässigte Kind. Allmählich fügen sich die vielen Facetten ihrer Persönlichkeit zu einem Gesamtbild zusammen,

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