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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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vorbereitet.
    »Was verschafft mir die Ehre, mein Kind?«, eröffnet Herr Prigge das Gespräch.
    »Ich hatte vor zwölf Jahren bei Ihnen Sportunterricht«, beginnt Marit, als wäre das eine ausreichende Rechtfertigung, heute unangemeldet bei ihm hereinzuschneien. Plötzlich kommt es ihr wie eine Zumutung vor. Was, wenn er nicht will, dass irgendeiner seiner ehemaligen Schüler ihn in diesem Zustand sieht? Oder hat bloß sie selbst ein Problem damit? »Damals war ich in der ersten Klasse.«
    »Ich weiß, ich weiß. Du bist die Tochter von Winfried Pauli, Klasse 1 c, deine freche Freundin hieß Franka. Das war mein letztes Jahr vor der Pensionierung. Eigentlich wollte ich mit achtzig noch das Matterhorn besteigen, aber daraus wird wohl nichts mehr.«
    Anzunehmen. Marit weiß nicht, was sie darauf antworten soll, die Nachfrage, welche Krankheit ihn derartig zugerichtet hat, erscheint ihr taktlos. Im Grunde ist es auch egal.
    »Tut mir leid.«
    »So ist das Leben. Im Großen und Ganzen kann ich mich nicht beklagen. Also, was kann ich für dich tun? Bitte, setz dich doch. Und gieß uns ein Glas Wasser ein, die Flasche steht da drüben auf der Anrichte. In der Dose müssten auch noch ein paar Kekse sein. Selbst gebacken. Möchtest du einen?«
    »Nein danke.«
    Immerhin hat er jemanden, der für ihn backt, denkt Marit und befüllt zwei Gläser mit Wasser. Als sie ihm eins davon reicht, sieht sie, wie dünn und durchsichtig seine Haut ist, wie Pergamentpapier, die bläulichen Linien der Adern eine Botschaft in fremder Schrift, die sie nicht entziffern kann. Der Gestank nach Urin, überlagert vom herben Duft eines Aftershaves, dennoch unverkennbar. Marit gibt sich dem Horror der Vorstellung hin, eines Tages ebenfalls hier zu landen. Wenigstens ist Zoé ein derartiges Schicksal erspart geblieben. Ein schwacher Trost.
    »Vielleicht sollten wir bei dem schönen Wetter lieber auf den Balkon gehen«, schlägt der alte Mann vor und nervt sie erneut wegen der Kekse, sodass sie schließlich nachgibt und die Dose auf der Anrichte öffnet.
    »Aber nur einen für jeden«, befiehlt Herr Prigge.
    Draußen kann Marit aufatmen und es fällt ihr leichter, nicht permanent auf den Beutel zu starren. Sie überblicken den Parkplatz des Discounters. Um diese Zeit ist dort nicht viel los, bloß ein paar Hausfrauen, die fürs Mittagessen letzte Besorgungen machen und schon ziemlich spät dran sind.
    Nach dem obligatorischen Small Talk über die Hitzewelle, kommt sie endlich zum Punkt: »Ich bin wegen Zoé gekommen. Sie hat bis vor Kurzem hier gearbeitet. Haben Sie sie gekannt?«
    »Zoé!« Die ohnehin wässrigen Augen des alten Mannes drohen überzulaufen. »Das arme Ding. Wart ihr befreundet?«
    Um die Sache nicht unnötig kompliziert zu machen, nickt Marit, worauf der alte Mann ihr zunächst sein Beileid ausspricht, gleich darauf jedoch stutzt er: »Marit Pauli. Haben sie nicht deinen Bruder als Mörder verhaftet? Doch, natürlich. Ansgar. Er hat sie erschlagen. Mit einem Stein. Das stand in der Zeitung.«
    »Nein, hat er nicht«, sagt Marit entnervt, weil sie es leid ist, wieder und wieder die Unschuld ihres Bruders beteuern zu müssen. Für jemanden, der im Ruf steht, vergesslich zu sein, ist Herr Prigge ziemlich gut über alles und jeden informiert. Was in ihrem Fall Vor- und Nachteile hat.
    »Ansgar wird zu Unrecht verdächtigt, und das werde ich beweisen. Ich bin hier, um Nachforschungen über Zoé anzustellen. Ich weiß, dass sie gern hier im Heim gearbeitet hat, und frage mich, ob es vielleicht Bewohner gibt, zu denen sie ein besonders enges Verhältnis hatte.«
    Herr Prigge deutet mit dem Daumen auf sich. »Da bist du bei mir goldrichtig.« Er beißt in einen Keks und ergänzt: »Das würden hier allerdings viele von sich behaupten. Die Kleine war ein echtes Schätzchen.«
    »Kennen Sie meinen Bruder auch?«
    »Nein. Nie gesehen. Er ist jünger als du, oder?«
    Marit nickt. »Das ist schade, denn würden Sie ihn kennen, würden Sie ihm bestimmt genauso wenig einen Mord zutrauen wie ich.«
    »Und du willst ihn raushauen?«
    So zutreffend hat es bisher keiner formuliert. »Exakt.«
    »Hut ab. Du hattest schon als Abc-Schützin ordentlich Mumm, das weiß ich noch. Im Gegensatz zu deinem Herrn Vater. Winfried war ein richtiges Weichei, wie man heutzutage sagt. Und ein Muttersöhnchen. Winnie Windelpupser haben die anderen Jungs ihn genannt.«
    Hochinteressant. Das hört Marit zum ersten Mal und sie würde liebend gern nachhaken. Leider ist

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