Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
Vom Netzwerk:
das eigentliche Thema wichtiger: »Können wir über Zoé reden, bitte?«
    Herr Prigge nickt langsam. »Was willst du wissen?«
    »Kann es sein, dass sie in irgendwelchen Schwierigkeiten steckte?«
    »Nicht dass ich wüsste. Die Jungs machten ihr manchmal zu schaffen, das ist ja ganz normal in eurem Alter. In letzter Zeit schien sie ernsthaft verliebt zu sein, sprach oft von ihrem Freund. Allerdings hat sie den Namen deines Bruders nie erwähnt.«
    »Sondern? Einen anderen?«
    »Überhaupt keine Namen. Vermutlich wollte sie mich nicht verwirren. Du musst wissen, ich bin etwas schusselig.«
    »Sie doch nicht«, entfährt es Marit. »Ich wette, das ist nur so eine Masche von ihnen, was auch immer Sie damit erreichen wollen.«
    Herr Prigge droht ihr spielerisch mit dem Finger, dann schiebt er sich den Rest seines Kekses in den Mund und kaut genüsslich. »Ganz einfach«, sagt er. »Wenn sie einen für dement halten, lassen sie sich mit allem mehr Zeit. In meiner Situation ist man für jede Zuwendung dankbar. Und jetzt iss endlich deinen Keks. Der entspannt.«
    Was hat er nur immer mit diesen blöden Keksen? Marit beißt ab. Die schmecken nicht mal besonders, außerdem sind sie pappig und alt.
    »Gut, oder?« Herr Prigge kichert.
    Marit nickt höflich.
    Nicht auf den Urinbeutel sehen. Auf dem Parkplatz des Discounters sind zwei Frauen aneinandergeraten, anscheinend hat die eine mit ihrem übervollen Einkaufswagen den klapprigen Opel der anderen geschrammt. An der Tür. Unwillkürlich ergreift Marit Partei für die mit dem Einkaufswagen, weil sie nett und anständig aussieht, die andere hingegen ist ziemlich schlampig: ausgeleierte Leggins, Schlabbertop, Zigarette im Mund. Herr Prigge hat die zwei ebenfalls im Visier und lobt den Unterhaltungswert seines Ausblicks: »Was hätte ich davon, den ganzen Tag auf eine Rasenfläche zu starren? Alle wollen immer die Zimmer nach hinten raus, aber das hier ist doch viel besser. Was glaubst du, wie es ausgeht?«
    Marit zuckt mit den Schultern. Sie hat das Gefühl, von dem Keks wird ihr schlecht.
    »Die mit dem Opel wird die andere abkassieren. Pass auf«, sagt Herr Prigge, und als es Sekunden später tatsächlich so kommt, klatscht er triumphierend in die Hände. »Siehst du? In zwei von drei Fällen kommt sie damit durch. Dabei hat die andere ihre Schrottkiste wahrscheinlich nicht mal berührt. Die meisten Leute wollen einfach keinen Ärger haben und drücken ihr auf die Schnelle ein paar Scheine in die Hand.«
    »Macht die das öfter?«, fragt Marit entsetzt.
    Herr Prigge nickt.
    »Das ist ja kriminell. Sie müssen Anzeige erstatten. Oder wenigstens den Marktleiter informieren.«
    »Ach was.« Herr Prigge winkt ab. »Leben und leben lassen. Arm sein ist nicht lustig, Marit, das kann jemand wie du nicht verstehen. Was die Frau macht, ist nicht richtig, aber es müsste ihr ja niemand etwas geben, letztlich zahlen alle freiwillig. Kuck dir die andere an, in was für ein dickes Auto die jetzt steigt. Warum kauft die ihre Milch überhaupt in so einem Ausbeuterladen und nicht beim Bauern nebenan zu einem fairen Preis?«
    »Sie sind ja ein richtiger Robin Hood, Herr Prigge«, witzelt Marit. Neuerdings muss sie ständig Vorbehalte über sich ergehen lassen, weil sie aus einer wohlhabenden Familie kommt, was sie einerseits nervt, andererseits – beinahe gegen ihren Willen – auch zum Nachdenken zwingt: Woher bezieht die Eisfabrik eigentlich Milch? Und wieso weiß sie das nicht? Gleichwohl findet sie das Verhalten der Opelfahrerin absolut asozial und sie merkt sich die Autonummer.
    Während sie überlegt, wie sie das Gespräch und ihre Übelkeit in den Griff bekommen kann, schüttelt Herr Prigge ein Totschlagargument aus dem Ärmel seines Trainingsanzugs: »Was denkst du, wie viel – oder besser wie wenig – sie Mädchen wie Zoé dafür zahlen, dass sie diese Pisse aus dem Beutel, den du nicht mal ansehen magst, für mich ins Klo kippen, wenn ich einen schlechten Tag habe und nicht aufstehen kann? Wie viel?«
    Schulterzucken. Marit kennt nur den Stundenlohn in der Eisfabrik, und der ist anständig.
    »Sag schon, wie viel?«
    »Wahrscheinlich zu wenig«, antwortet Marit widerstrebend.
    »Ja, ganz genau. Viel zu wenig. Einen Hungerlohn. Deshalb habe ich ihr auch Geld geschenkt, und das nicht zu knapp. Das war das Mindeste, was ich für sie tun konnte. Bevor es sich die Kinder unter den Nagel reißen. Die kommen mich ja nicht mal besuchen.«
    »Ach, die zehntausend Euro?«, fragt Marit auf

Weitere Kostenlose Bücher