Luegnerin
einen jungen Mann, einen Kerl.«
Lisa Aden fing an zu schwitzen. Ich konnte es an ihr riechen.
»Sie würden das Wort also ganz locker benutzen, auch wenn Sie über Ihre Freunde sprechen und Sie nicht sauer auf sie sind?«, wollte Zach wissen. Seine Stimme kitzelte in meinen Ohren, obwohl er ganz hinten im Klassenzimmer saß.
»Das wäre egal«, sagte der Schriftsteller, und ich fragte mich, was für eine Art von Büchern er wohl schrieb. Vermutlich
keine Reiseführer. Mein Dad sagte nie »Scheiße« und schreiben würde er es schon gar nicht.
»Und was ist mit Mädchen? Oder Frauen?«, wollte Kayla wissen.
»Nein, man verwendet es nur für Männer. Wenn man eine Frau so nennt, dann bedeutet es dasselbe wie hier. Also, das würde man nur sagen, wenn man wirklich sauer ist.«
Zach schien fasziniert.
»Dann bedeutet das Wort also hier bei uns nicht dasselbe wie dort, wo Sie herkommen?«, fragte Aaron Ling.
»Richtig.«
»So wie die Engländer rubber anstelle von eraser sagen oder lift anstelle von elevator oder flat anstelle von apartment ?«
Der Autor nickte.
»Können Sie uns ein wenig mehr darüber erzählen, wie Sie dazu gekommen sind, ein Buch über Tabu-Wörter zu schreiben?«, fragte Lisa Aden.
Der Autor lachte. »Nun ja, man könnte sagen, dass es mich schon mein Leben lang interessiert hat.«
Die Hälfte der Klasse lachte ebenfalls.
»Das hier ist mein erstes Buch zum Thema Sprache. Vorher habe ich vor allem realitätsnahe Krimis geschrieben, was aus meiner Berichterstattung über die Kriminalität in Glasgow entstanden ist. Die Leute, über die ich da schreibe, sind keine Pfarrerstöchter, wisst ihr? Bei weitem nicht. Eher ziemlich ungehobeltesVolk. Ich habe angefangen, mich für die Wörter zu interessieren, die sie so oft und so fantasievoll verwendet haben. Dann habe ich angefangen, Sachen nachzulesen, und ehe ich wusste, wie mir geschah, war ich schon dabei, ein Buch über sogenannte
Schimpfwörter und unanständige Sprache zu schreiben.«
»Und was ist dort, wo Sie herkommen, das schlimmste Schimpfwort?«, wollte Zach wissen.
»Die Frage ist eigentlich schwer zu beantworten. Je mehr ich zu diesem Thema recherchiert habe, desto mehr erscheint es mir, dass es weniger um die Worte an sich geht, sondern vielmehr um die Kraft, die dahintersteckt. Ich glaubte, dass sich die Leute zu sehr daran aufhängen, ob ein Wort nun anstößig ist oder nicht, und dabei aus den Augen verlieren, was damit eigentlich gesagt wird. Ich meine, ist es anstößiger, wenn jemand das Töten von Arabern befürwortet oder das Töten von ›verdammten Arabern‹? Es ist in jedem Fall rassistisch, auf die schlimmste Art und Weise.«
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen.
»Sind Ihre Bücher schon mal verboten worden?«, wollte Kayla wissen.
»Nicht, dass ich wüsste. Ich glaube nicht, dass Krimis oder Bücher über Sprache oft im Visier der Zensur landen. Keine Ahnung, warum. Sind es nicht meistens Bücher für Jugendliche und Kinder, die verboten werden? So wie das über die beiden kleinen Pinguin-Jungs, die sich ineinander verliebt haben?«
Wieder lachte die ganze Klasse. Ich fragte mich, ob das wohl ein echtes Buch war oder ob er sich das ausgedacht hatte.
»Was meint ihr?«, warf Lisa an die Klasse gerichtet ein. »Woher kommt es, dass Jugendbücher so viel stärker der Zensur unterliegen?«
Darauf wusste ich die Antwort, aber ich meldete mich
dennoch nicht. Es kommt daher, dass sich Erwachsene nicht daran erinnern, wie es war, als sie Jugendliche waren. Nicht wirklich. Ihre Erinnerung ist eher wie ein Stück aus einem Disney-Film und genau da wollen sie uns auch halten. Sie verabscheuen die Vorstellung von Hormonen oder dass wir Sex aneinander riechen können. Dass wir Flure entlanggehen, die dicht bepackt sind mit einer Million verschiedener Pheromone. Wir sehen uns, erhaschen einen Blick, nur ganz rasch aus den Augenwinkeln, und das lässt uns am ganzen Körper erschauern bis hin in die Körperteile, von denen unsere Eltern wünschten, sie würden gar nicht existieren.
So wie der Blick, den Zach und ich genau in diesem Augenblick austauschten. Ich rutschte auf meinem Stuhl hin und her. Meine Nervenenden kribbelten. Machten mich unruhig. Drängten mich zum Laufen. Weit und schnell und lang. Und Zach im Gleichschritt neben mir.
Nicht lange nach dem Ende dieser Unterrichtsstunde taten wir genau das. Wir liefen und liefen und liefen.
Aber nach jenem Abend habe ich ihn nie
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