Luftkurmord
wolltest, wo würdest du das tun?«, fragte er, ohne mich anzusehen,
stellte sich auf die Zehenspitzen und fuhr mit den Fingerspitzen über die
obersten Bretter des Bücherregals. Staub wirbelte auf, und er musste niesen.
»In Köln habe ich
meine beiden Goldketten immer zwischen den Modeschmuck an meinem
Badezimmerspiegel gehängt«, murmelte ich, stand auf und ging ins Badezimmer, um
nachzudenken. Das Licht tauchte den Raum in einen bläulichen Schimmer. Das
Badezimmer hätte eine Renovierung dringend nötig gehabt. Das Hellblau der
Kacheln war vor fünfzig Jahren modern gewesen, und die Größe und die Form der
Wanne machten jeden Wasserspargedanken zu einem Witz, wenn man vorhatte, bis
zum Hals im Wasser zu liegen. Regina hatte versucht, den Raum nach ihrem
Geschmack wohnlich zu machen. Ein kleines weißes Regal, weiße Handtücher und
ein großer Spiegelschrank, der wie ein Garderobenspiegel am Theater auf jeder
Seite eine Leiste mit runden Lichtern hatte, lenkten von den alten Armaturen
und den altmodischen Fliesen ab.
»Ganz schön edel«,
meinte Steffen und griff über meine Schulter hinweg nach der
Rasierwasserflasche, die auf der rechten Seite der Ablage neben einer
unscheinbaren Cremedose stand. »So ein teures Tröpfchen hätte ich dem alten
Herrn gar nicht zugetraut.« Er schraubte den Deckel auf und hielt mir den Duft
unter die Nase. Sofort zog der Geruch nach Wald, Erde und frischer Morgenluft
durch den kleinen Raum, vermischt mit einer Note, die mich an Männer in
schwarzen Anzügen in Spielcasinos denken ließ. Ich runzelte die Stirn.
»Was kostet das?«
»Den Preis kannst du
in Bruchteilen von Monatsgehältern ausdrücken. Je nachdem, welches Gehalt du
bekommst, läuft das unter unerschwinglich bis finanziell ruinös.«
»Und so ein Rasierwasser
benutzt Reginas Vater?«
»Vielleicht wollte
sie ihm etwas besonders Gutes tun und hat es ihm von dem Geld gekauft.« Steffen
wies mit dem Kopf kurz in Richtung Wohnzimmer.
»Nein.« Ich fuhr mir
mit den Fingern über die Lippen und knabberte am Gummihandschuh. »Das ist nicht
Alfons Brinkes Rasierwasser.«
»Wessen sonst?«
»Das weiß ich nicht.
Aber es ist nicht seines.« Ich starrte weiterhin auf die Ablage. Dann öffnete
ich die Türen des Spiegelschrankes und nickte. »Hier.« Ich nahm eine andere
Flasche Rasierwasser in die Hand. Sie war weiß und trug vorne die Abbildung
eines Segelschiffes. »Das ist Alfons’ Rasierwasser. Und das daneben«, ich
stellte den Flakon wieder an seinen Platz, »sind seine Medikamente, sein
Haarwasser, Zahnseide und ein Kamm. Zumindest das, was die Mitarbeiter des
Altenheims übrig gelassen haben, als sie seine Sachen gepackt haben.« Ich sah
Steffen an. »Alle seine Sachen stehen oder standen in der rechten Hälfte des
Schrankes. Reginas Sachen stehen in der linken Hälfte.«
»Du meinst, Regina
hat das Rasierwasser als Parfüm benutzt?«
»Nein. Das denke ich
nicht. Ich denke«, ich zog einen Becher mit zwei Zahnbürsten aus Reginas Hälfte
des Schranks, »dass Andrea recht hat und Regina einen Freund hatte.«
»Wer?«
Ich zuckte mit den
Schultern, schloss die Türen und sah im Spiegel Steffen hinter mir stehen. So
könnte es aussehen, wenn wir zusammenziehen würden. Morgens nach dem Aufstehen,
abends vor dem Zubettgehen. Steffen rührte sich nicht. Dachte er dasselbe? Ich
räusperte mich, löste den Blick und senkte den Kopf. »Lass uns weitermachen.
Wir müssen die Akte finden.«
»Nichts.« Ich
lehnte mich an das alte Büfett in Reginas Wohnzimmer. Wir hatten alle
Aktenordner durchgesehen, in alle Schubladen geschaut und die Matratzen
hochgehoben. »Hier ist nichts.«
»Und wenn es
wirklich nur noch die Kopien gibt?«, dachte Steffen laut.
»Du meinst, jemand
hat die Akte vernichtet?«
»Möglich.«
»Jemand mit einem
Interesse daran, dass bestimmte Informationen verschwinden.« Ich stieß mich ab
und bemerkte zu spät, wie hinter mir ein Stapel Fotoalben ins Rutschen kam. Ich
versuchte, sie aufzufangen, scheiterte aber gnadenlos. »Mist.«
Ich bückte mich und
sammelte die Alben wieder ein. Das unterste lag aufgeschlagen auf dem Boden. Es
musste Alfons gehört haben. Liebevoll beschriftete Fotos zeigten
Momentaufnahmen einer lange vergangenen Zeit. »Am Stausee 1931«, daneben eine
sorgfältig geschriebene Liste mit Namen, die sich den Menschen auf den Fotos
zuordnen ließen. Alte Gemünder Familiennamen. In den ernsten Gesichtern
erkannte ich die Gesichter ihrer Nachfahren, denen ich heute im
Weitere Kostenlose Bücher