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Luftkurmord

Luftkurmord

Titel: Luftkurmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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Ort begegnete.
Ein Bild fehlte. Ich klappte das Album zu und zögerte. Was hatte neben der
Lücke mit den gräulich weißen Klebstoffresten gestanden? »Hotel Lorbachtal mit
Zugang zum alten Schatzstollen.« Der alte Stoffbezug knisterte unter meinen
Händen, als ich die Stelle suchte und abwechselnd schwarzes Fotopapier und
transparente Seiten mit angedeuteten Spinnwebenmustern umblätterte. Als ich es
fand, hielt ich es Steffen hin. Er lachte.
    »Ach ja, das.«
    »Was?«
    Er grinste immer
noch. »Es gibt diese wunderbare Theorie zu einer verborgenen Kammer auf oder in
der Nähe der Ordensburg Vogelsang. Angeblich haben die Nazis da irgendwo einen
Schatz vergraben.«
    »Aha.« Ich runzelte
die Stirn. »Und – ist da was dran?«
    »Ich denke nicht.«
    »Was ist mit dem
Stollen?«
    »Ein Scherz.«
    »Sicher?«
    »Hör mal, Ina.«
Steffen verschränkte die Arme. »Wenn es schon in einem alten Fotoalbum steht.
Meinst du nicht, jemand hätte es einmal überprüft? Es gibt keine geheimen
Stollen und keine Schatzkammer.«
    »Aber findest du es
nicht seltsam, dass wir in Regina Brinkes Wohnung ein Fotoalbum mit einem
Hinweis auf das alte Hotel ›Lorbachtal‹ finden?«
    Steffen presste die
Lippen aufeinander.
    »Selbst wenn es
nicht wahr ist. Was ist, wenn jemand anderes daran geglaubt hat?«
    »Das ist doch
absurd.«
    »Frank Vorhaus ist
der Mitarbeiter der Firma, die sich aktiv um den Wiederaufbau bemüht. Offiziell
tritt er zumindest hier in der Gegend als selbstständiger Immobilienmakler auf,
und seine Frau tut so, als ob sie von nichts weiß, obwohl ihre Schwester Sturm
gegen das Projekt läuft.«
    »Vielleicht weiß sie
wirklich nichts.«
    Ich legte das Album
auf den Tisch. Behutsam blätterte ich weiter, fand aber nichts, was mich
ähnlich angesprungen hätte, wie die Erwähnung des Hotels. Wie es aussah, wusste
Steffen mehr als ich über diese ganze Angelegenheit. »Wir sollten mit Frank
Vorhaus sprechen. Jetzt gleich.« Wieder ein Punkt auf Bernhard Hansens
Ina-Weinz-benimmt-sich-daneben-Liste.
    Steffen zuckte mit
den Schultern. »Wenn du meinst.«

ACHT
    Ihre Beine taten weh und sie schwitzte. Erich trat fester in
die Pedale und achtete nicht auf das Ziehen in den Oberschenkeln. Sie fuhr
nicht oft mit dem Fahrrad, höchstens den kurzen Weg bis zum Bahnhof, morgens,
wenn sie mit dem Zug in die Schule nach Schleiden fuhr. Ihre Angst, Mama würde
sie im neuen Schuljahr immer noch begleiten, war mittlerweile einem Gefühl der
Bequemlichkeit gewichen. Mit dem Wagen bis vor die Schule gefahren zu werden,
war letztendlich das kleinere Übel. Das bedeutete auf jeden Fall, zwanzig
Minuten länger schlafen zu können. Und es bedeutete, zwanzig Minuten weniger
den Hänseleien der anderen Mädchen ausgesetzt zu sein, die sie zu dick, zu dumm
und zu hässlich fanden und ihr das so oft unter die Nase rieben, bis sie selber
angefangen hatte, es zu glauben.
    Obwohl
heute Sonntag war, roch sie den Duft von Puddingteilchen und frischen Brötchen,
der wie eine Wolke vor der Treppe zur Bäckerei auf der Schleidener Straße
stand, und das Wasser lief ihr im Mund zusammen. Erich hielt die Luft an, hob
sich aus dem Sattel und beschleunigte. Sie wollte es hinter sich bringen. So
schnell wie möglich. Es musste einfach sein. Sie hatte lange überlegt, wie sie
es Hans am besten sagen könnte, ohne dass die einen ihrer Wutausbrüche bekam.
    Sie
hatte ihr im letzten Jahr immer wieder bei ihren Klassenarbeiten »geholfen«.
Dafür beschützte Hans sie vor den anderen Mädchen, indem sie ein bisschen von
ihrem Glanz auf sie abfärben ließ. Hans war beliebt, trug coole Klamotten und
brachte außerdem noch gute Noten nach Hause, von denen auf dem Gymnasium
niemand ahnte, wie sie zustande kamen. Und das sollte auch so bleiben. Dieses
Geheimnis zwischen ihr und Hans war zu einer solchen Selbstverständlichkeit
geworden, dass sie das andere Geheimnis dahinter manchmal vergaß. So lange, bis
sie nachts wach wurde und den Geruch von faulen Eiern, nassem Dreck und totem
Fisch nicht mehr loswurde.
    Aber
jetzt musste sie mit ihr reden. Nach dem Sommer würden sie neben Englisch eine
neue Sprache lernen, und Erich hatte sich schon in den Osterferien für
Französisch entschieden. Ihre Mutter hatte in einem Kreuzworträtsel eine kurze
Reise nach Amsterdam gewonnen, und sie waren zum ersten Mal gemeinsam in Urlaub
gefahren. Erich war begeistert von den alten Häusern, den vielen Menschen und
dem leckeren Essen gewesen. Am meisten allerdings hatte sie

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