Luftkurmord
Frau des Projektleiters entführt und tot aufgefunden. Ich
rang um Fassung.
»Alles in Ordnung,
Ina?«, fragte Hansen.
»Ja.« Ich nickte.
»Es wird gehen.«
»Nach Sachlage
ergibt sich ein dringender Tatverdacht gegen die Schwester der Toten, Andrea
Herbstmann«, sprach Sauerbier meinen Gedankengang aus, »und das bedeutet, dass …«
»… ich raus bin
aus der Sache«, murmelte ich und erwiderte Sauerbiers erstaunten Blick. »Andrea
Herbstmann ist meine Freundin, und ihre Tochter wohnt zurzeit bei mir.« Ich
wandte mich an Hansen. »Nimm Judith Bleuler an meiner Stelle in dein Team,
Bernhard. Sie kann was.«
»Wir schreiben
Andrea Herbstmann umgehend zur Fahndung aus.« Sauerbier musterte mich mit
taxierendem Blick. »Schade, Frau Weinz. Wirklich schade. Aber Sie haben
natürlich recht. Dabei hätte ich sehr gerne offiziell mit Ihnen
zusammengearbeitet.« Er hob eine Hand und zwirbelte seinen Schnurbart mit
Daumen und Zeigefinger. »Wie ich eben gesehen habe, sind Sie nicht mit einem
eigenen Fahrzeug da. Sie können also noch so lange bleiben, bis sich eine
Gelegenheit zur Rückfahrt ergibt.« Er reckte das Kinn vor. »Sie wissen ja, wo
Sie nicht im Weg rumstehen.«
Ich nickte, ging zu
einem der parkenden Polizeiwagen und lehnte mich dagegen. Birgit. Birgit war
tot. Erst jetzt kroch der Gedanke so richtig in meinen Verstand und über diesen
Umweg auch in meine Seele. Ich biss mir auf die Lippen. Ich wollte nicht
weinen. Nicht hier. Regina und Birgit. Es gab einen Zusammenhang. Musste einen
geben. Aber vielleicht war es auch meine Schuld, dass Birgit jetzt tot war. Ich
hatte mich nicht an das gehalten, was Hansen von mir verlangt hatte. Hatte
meine Kompetenzen überschritten, Regeln gebrochen und eigenmächtig Dinge
entschieden. Was hatte ich getan, um den Mörder erneut auf den Plan zu rufen?
War es wieder mein Eigensinn, der mich letztendlich hierher geführt hatte? Ich
hob den Kopf, beobachtete die Szenerie und kam mir vor wie ein Außerirdischer
auf dem Planeten Erde. Jeder hier vor Ort wusste, was zu tun war. Alles
gehorchte den Regeln und folgte den Abläufen, die ich vor gefühlten hundert
Jahren einmal gelernt hatte und nachts im Schlaf runterbeten konnte.
Fotografieren, beschreiben, skizzieren, asservieren. Aber es änderte nichts an
der Tatsache, dass wenige Meter von mir entfernt ein Mensch lag, dessen Leben
gewaltsam beendet worden war, und dass keine dieser Betriebsamkeiten das
ungeschehen machen konnte.
Ich verschränkte die
Arme vor der Brust. Wo war meine professionelle Schranke? Ich ließ die Sache zu
nah an mich heran. Die Distanz zum Fall, zu den Toten, die es uns erst
ermöglichte, mit Ruhe und der notwendigen Sorgfalt zu handeln. Obwohl ein
kühler Wind wehte, lief eine Hitzewelle über meine Brust, breitete sich über
den Hals aus und erfasste meinen gesamten Oberkörper. Aus allen Poren brach mir
der Schweiß aus, und ich schnappte nach Luft. Ich stieß mich vom Wagen ab und
ging ein paar Schritte. Die Bewegung half, die Welle ebbte ab, und ich bekam
wieder Luft. Nur das klebrige Gefühl auf meiner Haut blieb und weckte in mir
das dringende Bedürfnis nach einer Dusche.
»Ina?« Diesmal war
es Judith, die mit besorgter Miene vor mir stand und mich fragte, wie es mir
ging. Sie hielt ein Klemmbrett in der einen und einen Stift in der anderen
Hand.
Ich nickte und
winkte ab.
»Sauerbier hat mir
den Tatortbefundbericht aufs Auge gedrückt.« Sie zuckte mit den Schultern und hob
in gespielter Verzweiflung Brett und Kugelschreiber hoch.
Das Funkgerät im
Dienstwagen hinter mir dudelte los. Niemand von den Umstehenden reagierte, also
ging ich zur Tür, griff durch das offene Seitenfenster und bestätigte die
Verbindung.
»Ina Weinz«, kürzte
ich das Prozedere ab, da ich wusste, dass am anderen Ende nur einer meiner
Kollegen aus der Schleidener Wache sein konnte.
»Ist Hansen in der
Nähe?« Die Stimme des Kollegen war gut zu verstehen. Ich sah mich um, konnte
Hansen aber nirgendwo entdecken.
»Soll ich ihn holen
gehen?«
»Nein. Aber du
kannst ihm etwas ausrichten. Das Labor hat neue Ergebnisse zum Selbstmord von
Regina Brinke durchgegeben. An einem Ast, der in der Nähe des Tatortes
sichergestellt wurde, befanden sich Faserspuren von der Kleidung der Toten, die DNA eines unbekannten Mannes und Blut von dem
angeblichen Zeugen, diesem Hornbläser. Wir hatten ihn in der Kartei. Er ist
wohl kein Unbekannter.«
»In Ordnung. Danke.
Ich sorge dafür, dass Hansen die Info bekommt.« Ich
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