Luftkurmord
warum?«
»Weil er wusste,
dass die Sache auf jeden Fall auffliegen würde, und er deshalb versuchte,
wenigstens noch Geld aus der Sache zu schlagen?«
»Das er aber mit
niemandem teilen wollte. Auch nicht mit Birgit. Vielleicht war für ihn das
Scheitern des Projekts gleichbedeutend mit dem Scheitern seines ganzen Lebens.«
Mir fielen die Kontoauszüge ein, die mir in Birgits Küche in die Hände gefallen
waren. Vielleicht war er schlicht und ergreifend pleite und sah nun seine
letzte Möglichkeit, zu Geld zu kommen, schwinden?
Hermann zuckte mit
den Schultern. »Unter Gottes schönem Himmel ist vieles möglich.« Er verstummte,
fuhr sich mit der Hand über die Wangen, und ich bemerkte seine Unzufriedenheit
mit meiner Habgier-Theorie. Unvermittelt brachte er eine weitere Möglichkeit auf
den Tisch. »Was ist, wenn es doch dieser Hornbläser war?«
»Das halte ich für
nicht sehr wahrscheinlich.«
»Wegen deiner
Praktikantin?«
»Nein. Nicht wegen
Judith, sondern weil er kein Motiv gehabt hätte. Er kannte weder Regina noch
Birgit.«
»Was ist, wenn er
ein Serienmörder ist?« Amalie war blass geworden.
»Serienmörder sind
sehr selten. Auch wenn uns die heutigen Krimis oft etwas anderes weismachen
möchten«, beruhigte ich sie. »Nein. In den meisten Fällen gibt es
nachvollziehbare und in einem gewissen Maß logische Beweggründe, die einen
Menschen zum Mörder werden lassen.« Ich lächelte meinen Vater an. »Ich glaube,
die Richtung, in die wir gerade denken, ist nicht die Verkehrteste. So viele
Spieler sind nicht mehr im Rennen. Und wenn wir davon ausgehen, dass nicht
Andrea, sondern, wie du sagst, Frank Vorhaus der Mörder ist, bedeutet es, dass
sie vielleicht in Gefahr ist.«
»Aber?«
»Aber was?«
Hermann grinste.
»Jedes Mal, wenn du mir zustimmst, kommt ein ›Aber‹ hintendran. Wie bei Radio
Eriwan. Im Prinzip ja. Aber.«
»Nein. Ausnahmsweise
kein Aber.« Ich beobachtete wieder Alfons Brinke. Er war aufgestanden, hatte
seine Flöte eingepackt und stand unschlüssig da. Als er uns durch die
Fensterscheibe erkannte, winkte er uns freundlich zu und setzte sich in
Bewegung.
»Wir müssen
herausfinden, wo sie ist, Pap. So schnell wie möglich.« Ich erwiderte Alfons’
Winken und klopfte aufmunternd auf den leeren Stuhl neben mir. Er lächelte und
hielt die Flöte hoch.
»Guten Tag, Amalie«,
grüßte er höflich, als er schließlich an unserem Tisch angelangt war. »Guten
Tag, Hermann, guten Tag, Ina.« Er zog sich einen freien Stuhl heran und setzte
sich zu uns. Das Instrument legte er in die Mitte des Tisches.
»Sie haben gar nicht
gespielt, Herr Brinke.« Amalie beugte sich zu ihm und tätschelte seine Hand.
»Heute spiele ich
nicht. Ich habe gestern gespielt. Für Andrea.«
Amalie seufzte und
strich über seinen Handrücken.
Mir fiel Henrikes
Frage ein. Wo war Alfons gewesen, bevor wir ihn an der Gedenkstätte gefunden
hatten? Was war, wenn er wirklich Andrea getroffen hatte? Was hatte er gestern
zu mir gesagt? »Jetzt will sie Hilfe haben. Jetzt wo es zu spät ist. Sie will,
dass ich die Tür aufmache, aber sie dürfen nicht am Bach spielen. Das erlaube
ich ihr nicht. Auch wenn sie so schreit und weint.«
»Herr Brinke, können
Sie sich erinnern, was Sie gestern gemacht haben? Wo Sie gestern waren?«
Er sah mich an und
runzelte die Stirn.
»Warte, Ina.«
Hermann war meinen Gedanken offenbar gefolgt und wandte sich nun Alfons Brinke
zu. »Alfons«, sprach er ihn direkt an und legte seine Hand auf die Schulter des
anderen. »Es ist so schönes Wetter. Wie früher.«
»Ja. Wie früher.«
Alfons Brinke strahlte über das ganze Gesicht.
»Möchtest du etwas
unternehmen?«
»Ja.« Alfons stand
auf, packte die Flöte ein und machte Anstalten wegzugehen. Hermann schob seinen
Stuhl zurück und bedeutete mir und Amalie mit einem Kopfnicken, es ihm
gleichzutun. »Wenn du ihn direkt fragst, verwirrst du ihn nur«, raunte er mir
zu. »Er kann sich nicht an Fakten erinnern, aber an Gefühle. Wie gestern.«
»Ja.« Alfons Brinke
nickte. »Ich mache einen Ausflug.«
»In Ordnung, Alfons.
Wir begleiten dich.«
»Gut.« Er lächelte
Amalie an und bot ihr seinen Arm, den sie mit einer leichten Verbeugung annahm.
Langsam gingen wir nach draußen, Alfons und Amalie vorneweg, Hermann und ich
drei Schritte hinter den beiden.
»Meinst du, das
funktioniert?«, flüsterte ich Hermann zu und hakte mich ebenfalls bei ihm ein.
»Gestern ist er mit deinem Wagen gefahren.«
»Das können wir
heute auch,
Weitere Kostenlose Bücher