Luftschlösser
mir leid, Ed, aber ich wollte unbedingt noch mit Sephi sprechen.”
„Um diese Zeit? Was ist denn so wichtig, dass es nicht bis morgen warten konnte?” deWinter geleitete Charles in sein Wohnzimmer und ließ sich auf seinem Lieblingssessel nieder.
„Der Brief, den ich heute von Sephi und eurem Anwalt bekommen habe.”
Edwards Blick folgte Charles, der sich auf dem Sofa niederließ. „Hat sie sich also doch gleich darum gekümmert. Braves Mädchen. Ich hatte Persephone gebeten, sich möglichst bald mit dir und deinem Anwalt in Verbindung zu setzen, um alles wasserdicht zu machen. Die Idee mit dem Buch ist auf meinem Mist gewachsen, musst du wissen. Ich habe einen alten Bekannten getroffen, der bei einem Verlag arbeitet, wir haben geplaudert, ein Wort ergab das andere. Du kennst das ja sicher.”
Natürlich kannte er das. Das beantwortete aber immer noch nicht seine Frage. „Warum hat sie mich nicht selbst gefragt? Warum ein Brief?”, platzte Charles aufgebracht heraus.
Edward antwortete mit einem Schmunzeln: „Ganz sicher dachte meine Kleine, dass das gescheiter wäre. Sie hat die Diplomatie nicht gerade erfunden und neigt ständig dazu, den Leuten auf den Schlips zu treten. Persephone sieht sich selbst sehr klar und weiß genau, dass sie im Umgang mit anderen Menschen Defizite hat, um es mal schmeichelhaft auszudrücken. In diesem Fall ist es einfacher, das Anliegen höflich und präzise in einem Brief zu formulieren. Zumindest ist das meine Vermutung. Vielleicht steckt aber auch etwas ganz anderes dahinter. Da musst du sie selbst fragen.”
Charles hatte Eds Einschätzung ungläubig angehört. Wenn ein liebender Vater seiner eigenen Tochter Defizite im Umgang mit Menschen attestierte und diesen Ausdruck dann auch noch als schmeichelhaft bezeichnete, ließ das tief blicken. Sein Blick fiel auf den Kaminsims und die Muschel, über die er sich erst neulich mit Sephi unterhalten hatte. Damals, als kleines Mädchen, hatte sie keinerlei Defizite im Umgang mit Fremden gehabt.
„Das hatte ich vor. Wo finde ich sie?”
„Einfach durch die Tür ins Treppenhaus und ganz bis nach oben durch. Sie hat sich das oberste Stockwerk umbauen lassen.” deWinter wedelte mit einer Hand in Richtung der Treppen.
„Danke, Ed und gute Nacht.” Charles sprang auf und ließ den älteren Mann mit einer Krimiserie im Fernsehen allein.
Am obersten Stockwerk angekommen, räusperte er sich und klopfte an die weiße Eingangstür. Ohne eine Antwort zu erhalten. Er klopfte noch einmal. Wieder keine Antwort. Die Tür besaß eine Türklinke auf seiner Seite, also drückte er sie in der Erwartung nieder, dass von innen abgesperrt war. War sie aber nicht. Charles betrat Persephones Wohnung mit einer Mischung aus Aufregung und dem Gefühl, bei ihr einzubrechen. Schließlich hatte sie ihn nicht zum Eintreten aufgefordert.
„Persephone? Bist du da?” Eine selten dumme Frage, aber sie war nirgendwo zu sehen oder zu hören.
Als er keine Antwort auf seine Frage erhielt, nahm Charles sich einen Moment Zeit, sich in der Wohnung umzuschauen. Zu seiner vollkommenen Verblüffung kam sie ihm bekannt vor. Er hatte das alles schon irgendwo gesehen. Im Grunde genommen befand man sich in einem einzigen großen Raum, von dem nur zwei Türen in angrenzende Zimmer abgingen. Alles war weiß gehalten und mit alten Möbeln bestückt. Bei genauerem Hinsehen fand sich wirklich nicht ein einziges Möbelstück, das keine Antiquität war. Das Dach bestand auf einer Seite komplett aus Oberlichtern, die nicht durch Jalousien, sondern durch eine altmodische Vorhangkonstruktion für Dachfenster verdunkelt waren. Dieses spezielle Merkmal brachte Charles’ Erinnerung auf Trab. Plötzlich wusste er wieder, woher er den Stil dieses Apartments kannte. Er hatte einen ganz bestimmten Film unzählige Male mit anschauen müssen - „Wir sind keine Engel”, ein Weihnachtsfilm mit Humphrey Bogart, Peter Ustinov und Aldo Ray als entflohene Sträflinge, die einer Kaufmannsfamilie ein schönes Weihnachtsfest bereiten. Sephi hatte diesen Film so sehr geliebt, dass sie ihn sogar im Sommer angeschaut hatte. Schon als kleines Mädchen hatte sie voller Bestimmtheit kundgetan, dass sie später einmal in einem Haus wie dem der Kaufmannsfamilie Ducotel wohnen würde. Wie es schien, hatte sie dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt.
Charles folgte dem Klang leiser Musik ins Nebenzimmer. „Romeo und Julia” von Prokofjew, eine gute Aufnahme, soweit er das beurteilen konnte. Die
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