Lukas und die gestohlene Weihnacht
nicht vergessen. Und darum habe ich mir auch Gedanken gemacht. Der Weihnachtsbrauch, den du hier suchtest, ich sagte dir schon vor einigen Wochen, dass ich ihn dir zeigen will. Heute ist es soweit. Du musst verstehen, dass ich damit warten wollte, bis er fertig war, denn wir haben lange daran arbeiten müssen. Nun ist es vollbracht. Ich muss gestehen, ich bin richtig stolz auf die Leistung meiner Jesuitenbrüder.“
„Was ist es?“, fragte Lukas.
Canisius brachte Lukas in eine der Kirchen des Collegiums. Was Lukas sah, machte ihn staunen: Vor dem Altar der Kirche war eine Weihnachtskrippe aus Holz aufgebaut. Alle Figuren waren handgeschnitzt und in Lebensgröße: Joseph und Maria, das Christkind Jesus, die drei Weisen aus dem Morgenland, ein Eselchen und ein Ochse sowie einige Schafe.
„So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen“, sagte Lukas. „Das ist wunderbar. Ich habe schon kleine Krippen gesehen, aber die übertrifft echt mal alles. Echt voll cool!“
„Was hat dieses kuhl zu bedeuten, das du in jedem zweiten Satz erwähnst? Aber danke, dass dir unser Werk gefällt. Wir haben uns große Mühe bei der Darstellung der Geburt Jesu Christi gegeben. Kennst du die Geschichte seiner Geburt, Lukas?“
„Ja, klar! Wir haben erst neulich einen Kurztest darüber … äh, egal. Jedenfalls war das doch so, dass Joseph mit seiner schwangeren Frau Maria von Nazareth nach Bethlehem unterwegs war.“
„Weißt du auch, wieso sie dorthin gingen, wo doch Maria schon im neunten Monat schwanger war?“
„Ja, wegen einer Volkszählung: Josef kam aus Bethlehem und der römische Kaiser befahl allen, in ihren Heimatort zurückzukehren, um sich zählen zu lassen. Josef ging zu Fuß, Maria saß auf dem Esel. Als sie nach drei Tagen in Bethlehem ankamen, waren sie sehr erschöpft und Maria war kurz davor, ihr Kind zu bekommen. Sie klopften an einer Herberge und baten um Unterkunft. Doch eine Schwangere und außerdem so arme Menschen, die vielleicht kein Geld hatten, wollte niemand aufnehmen. So ging es ihnen an jedem Haus, an dem sie klopften. Doch eine Familie sagte schließlich, sie hätten zwar keinen Platz mehr in ihrem Haus, aber im Stall wäre noch Platz genug. Dort brachte Maria schließlich ihr Kind Jesus zur Welt. Außerdem kamen da noch drei Weise aus dem Morgenland, die Heiligen Drei Könige.“
„Richtig. Du kennst dich gut aus in der Geschichte der Geburt Jesu“, sagte Canisius.
„Canisius, ich muss ehrlich zugeben, dass wir in unserer Zeit nicht besonders an Gott glauben. Aber je länger ich durch die Zeit reise und je mehr Menschen ich kennen lerne, solche guten Menschen wie dich, desto mehr sehe ich Sinn darin an all dem, was wir in meiner Zeit allmählich verdrängen oder vergessen. Ich meine, ich habe mir bisher immer nur Gedanken darüber gemacht, welches Spiel für die Konsole ich mir kaufen könnte oder welches Handy ich mir wünsche. Ach, egal, das sind so Spielzeuge aus meiner Zeit eben. Aber hier kommt mir das alles so dumm vor! Ich wünschte mir einfach nur, Rebekka könnte noch am Leben sein und wir wären gemeinsam mit unseren Eltern an Weihnachten zusammen. Vielleicht könnten wir Lieder singen und Kekse essen und eine Kerze anzünden oder irgendwie so etwas ganz Simples! Das würde mir jetzt viel mehr bedeuten als alles, was ich mir bisher gewünscht hatte!“
„Deine unglaubliche Reise, Lukas, ist sicher eine Reise der Erkenntnis. Du hast ein gutes Herz. Der Herr wird dir helfen.“
„Aber was hilft es mir, gut zu sein, wenn doch alles so schlecht läuft, Canisius? Ich kann das Schicksal nicht besiegen!“
„Lukas, das Leben ist nicht nur schön, das war es nie und das wird es für niemanden jemals sein. Egal, wie stark du bist. Immer wieder wirst du vom Leben gebeutelt werden, du wirst niemals stärker sein als das Schicksal. Doch es geht nicht darum, stärker zu sein, sondern darum, trotz deiner Niederlagen nicht aufzugeben und weiter zu machen. Immer wieder weiter zu machen, ganz egal, was dir passiert. Nur dann kannst du am Ende gewinnen. Nur so kannst du dich und deine Schwester retten.“
„Du meinst, es ist noch nicht zu spät, Canisius?“
„Hey, du bist ein Reisender durch die Zeit. Das Wort spät würde ich an deiner Stelle aus deinem Wortschatz streichen, Lukas.“
Lukas lächelte und wischte sich eine Träne vom Gesicht.
„Tolle Rede, Pfaffe!“, sagte da eine Männerstimme und Canisius und Lukas drehten sich herum. Marek stand dort neben einem bewaffneten
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