Lukas und die gestohlene Weihnacht
bin Pater Petrus Canisius.“
„Sind sie ein Klosterbruder?“
„Ich bin ein Priester. Ich gehöre den Jesuiten an. Wir gehören zur katholischen Kirche. Du bist hier im Collegium Clementinum. Das ist eine Schule. Mehrere Gebäude gehören dazu: Einige Kirchen, eine Bibliothek, Schlafgemächer, ein Turm sowie Speisesäle und ei ne Küche. Sicher hast du Hunger.“
„Wieso helfen Sie mir?“, fragte Lukas missmutig.
„Weil ich …“
Schnippisch unterbrach Lukas ihn: „Weil Sie ein Pfarrer sind! Pfarrer tun ja immer Gutes. Haha.“
„Ich wollte sagen, weil es meiner Natur entspricht, Menschen zu helfen.“
Lukas schämte sich für sein vorlautes Mundwerk.
Zum Abendessen gab es frisches Brot, Käse und Fleisch. Erst jetzt merkte Lukas, wie hungrig er war und wollte gar nicht mehr aufhören zu essen.
„Nun erzähl mir von dir. Wer bist du?“, fragte Canisius.
Lukas war zu müde, um darüber nachzudenken, ob es klug sei oder nicht, ihm alles zu erzählen. Er berichtete Pater Petrus Canisius, wer er war und was er erlebt hatte. Canisius schwieg eine Weile. Dann sprach er: „Wir Jesuiten sind seit 1556 hier in Prag. Das sind nun schon sechs Jahre. Hier sind wir nicht sehr willkommen, die Menschen trauen uns nicht. Noch nicht. So langsam können wir immer mehr Bürger davon überzeugen, dass wir im Guten gekommen sind. Unsere Schule hier unterrichtet nicht nur Katholiken, sondern junge Menschen aus allen Bevölkerungsschichten. Ich erzähle dir das, weil ich am eigenen Leib gespürt habe, wie es ist, wenn einem nicht geglaubt wird. Ich glaube dir, Lukas, Junge aus der Zukunft.“
„Na ja, ich selbst empfinde mich als Jungen aus der Gegenwart.“
„Wie auch immer. Weihnachten, wie du es beschreibst, kenne ich nicht. Wir kennen den Brauch vom Weihnachtsbaum, ja, doch selbst das habe ich nie mit eigenen Augen gesehen, eher davon gehört. Man macht dies wohl in den deutschen Ländern. Ich zeige dir bei Zeit unseren Brauch.“
Lukas bekam einen Platz zum Schlafen. Zusammen mit 30 anderen Jungen übernachtete er in einem großen Saal. Er hatte eine eigene Schlafstelle, die mit Stroh bedeckt war.
Am nächsten Morgen gab es Haferbrei zum Frühstück. Lukas kostete, obwohl es ihm nicht sonderlich mundete. Es schmeckte genau genommen nach gar nichts. Als er nach Pfeffer fragte, lachten die Jungen am Tisch und einer äffte einen König nach, indem er eine Holzschüssel als Krone aufsetzte und dabei sprach: „Man reiche mir den Pfeffer.“
Canisius erklärte ihm später, dass Pfeffer nur reiche Leute zum Würzen ihrer Speisen hatten. Lukas erinnerte sich an eine Geschichtsstunde in der Schule, in der der Lehrer einmal erzählte, dass die Redewendung Geh hin, wo der Pfeffer wächst! a us dieser Zeit stammte, in der er jetzt wohl gelandet war: Pfeffer gab es in Europa nicht und nur reiche Kaufleute bezogen es aus fernen Ländern wie Indien.
Den Tag über wurde er in die verschiedenen Unterrichtsfächer eingeführt. Die Schüler lernten Latein, tschechisch und deutsch. Daneben gab es Geometrie, Astronomie und Rechnen, Schreiben, Reden und Grammatik. In Geometrie verstand Lukas wie üblich nur noch Bahnhof! Unglaublich , dachte er, dass die Kinder vor Hunderten von Jahren genau denselben Mathestoff lernen mussten wie ich! Marek, sein Nebensitzer in Mathematik, half ihm bei den Aufgaben.
„Du musst bei diesem Zeichen immer die Wurzel ziehen. Komm, ich zeig dir wie …“
Am Abend gab es Eintopf mit Suppenfleisch – wieder ungewürzt bis auf einige Kräuter. Doch Canisius sagte, es sei etwas Besonderes, dass sie Fleisch essen konnten. Die normale Bevölkerung aß sehr selten Fleisch, da es zu teuer war. Lukas erzählte Canisius, dass in seiner Zeit jeder immer Fleisch essen konnte. Canisius sagte, das müsse das Paradies sein, wo niemand mehr Hunger leiden müsse. Bei dem Wort Hunger musste Lukas an die vielen Sendungen im Fernsehen denken, in denen es um Hungernde in Afrika ging und Notleidende in der ganzen Welt. Und er wusste, dass man nur in wenigen Ländern so gut lebte wie in seinem Land.
„Ach, ganz so paradiesisch ist es in meiner Zeit auch wieder nicht“, wandte Lukas ein. „Eigentlich haben auch nur wenige genug zu essen. Kommt wohl immer darauf an, wo man lebt.“
Die Tage vergingen. Lukas dachte immerzu an Rebekka und an seine Eltern. Der Unterricht lenkte ihn ab und darüber war er froh. Jede Sekunde, die er nicht traurig war, genoss er. Abends nach dem Essen hatten die Jungen zwei
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